Die Juedin von Toledo
gewesen sein muß, als die Unterdrückten plötzlich die Herren wurden und die früheren Unterdrücker die Sklaven.«
Begeistert erzählte Benjamín von den Büchern der Dichtung und Weisheit, welche in den folgenden Jahrhunderten unter der Herrschaft der Moslems die sephardischen Juden geschaffen hatten. Aus dem Gedächtnis sprach er ihr vor glühende Verse des Salomo Ibn Gabirol und des Jehuda Halevi. Er erzählte ihr von den mathematischen, astronomischen, philosophischen Werken des Abraham Bar Chija. »Was immer in diesem Lande Sepharad groß ist, sei es im Geiste oder sei es im Stein«, sagte er überzeugt, »daran haben Juden mitgebaut.«
Einmal sprach ihm Raquel von der Verwirrung, in welche der Anblick der Götzenbilder in der Kirche San Martín siegestürzt hatte. Er hörte zu. Stand unschlüssig. Dann, verschmitzt, zog er ein kleines Buch heraus und zeigte es ihr, geheimnisvoll. Es waren aber in diesem Buch, er nannte es sein Merkbuch, Zeichnungen, Abbildungen von Menschen. Manchmal waren sie bösartig spaßhaft, zuweilen verwandelten sich die Gesichter der Menschen geradezu in Tiergesichter. Doña Raquel war erstaunt, angeschauert, amüsiert. Welch unerhörter Frevel! Dieser Don Benjamín machte nicht nur Abbilder allgemeiner Art, wie es jene Götzenbilder in den Kirchen waren, er formte deutliche, erkennbare Menschen. Ja, er wollte es Gott gleichtun, er änderte sie nach seinem frechen Willen, verzerrte ihre Seele. Öffnete sich die Erde nicht, den Frevler zu verschlingen? Und sie selber, Raquel, nahm sie nicht teil an dem Frevel, indem sie diese Zeichnungen beschaute? Aber sie konnte sich nicht helfen, sie schaute weiter. Da war das Abbild eines Tieres, eines Fuchses, wie es schien, aber es war gar kein Fuchs, aus dem listigen Gesicht schauten die frommen Augen Don Ephraims. Und Raquel inmitten all ihres Grauens und ihrer Zweifel mußte lachen.
Am engsten verknüpft fühlte sie sich mit Benjamín, wenn dieser ihr Geschichten erzählte, merkwürdige Begebenheiten, die großen jüdischen Männern Toledos zugestoßen waren.
Da war die Geschichte des Rabbi Chanan Ben Rabua. Der hatte eine wunderbare Wasseruhr konstruiert. Sie bestand aus zwei Brunnen, zwei Zisternen, die mit solcher Kunst und Berechnung angelegt waren, daß sich die eine bei zunehmendem Monde langsam mit Wasser füllte und die andere leerte, mit abnehmendem Monde aber umgekehrt, so also, daß man ihnen den Tag des Monats, ja, die Stunde des Tages ablesen konnte. Neidische Nebenbuhler bezichtigten Rabbi Chanan der Zauberei. »Wissen macht immer verdächtig«, erläuterte altklug Don Benjamín – und der Alkalde zog Rabbi Chanan gefänglich ein. Da indes leerten sich und füllten sich die Zisternen nicht mehr, wie sie sollten. Man nahm an, der Rabbi habe, bevor man ihn gefangensetzte, die kunstreiche Wasseruhr, ander er dreimal sieben Jahre gearbeitet hatte, beschädigt, und man wollte ihn zwingen, sie zu reparieren. Er aber verdarb sie vollends. Da verbrannten sie ihn. »Der Turm, in dem er lag«, schloß Don Benjamín, »steht noch heute. Auch jene Zisternen kannst du noch sehen, in der Huerta del Rey, bei dem verfallenen Lustschloß La Galiana.«
Des Abends erzählte Raquel der Amme Sa’ad von dem armen, kunstreichen, gelehrten Rabbi Chanan, den die bösen Menschen gefoltert hatten um seiner Kunst und Wissenschaft willen. Sie erzählte anschaulich von der Wasseruhr und dem Gefängnis und von dem Feuertod des Rabbis. Die Amme Sa’ad aber sagte: »Es sind böse Menschen hier in Toledo. Ich wollte, Rechja, mein Lämmchen, wir gingen zurück in die Stadt Sevilla, möge Allah sie behüten.«
Drittes Kapitel
Die Brüder Fernán und Gutierre de Castro ließen es nicht bei leeren Drohungen bewenden gegen den Mann, der einen Beschnittenen in ihr Castillo gesetzt hatte. Sie stießen mit bewaffneter Macht in den Bereich Don Alfonsos vor, einmal sogar bis in die Stadt Cuenca. Sie überfielen reisende Bürger und führten sie als Gefangene in ihre Burgen. Sie raubten kastilischen Bauern die Viehherden. Mit der Beute zogen sie sich zurück in ihr schwer zugängliches Bergland Albarracín.
Don Alfonso wütete. Seitdem er denken konnte, hatte er die Castros gehaßt. Als er mit drei Jahren König geworden war, hatte ein Castro für ihn regiert, er hatte den Knaben streng und schlecht behandelt, und Alfonso hatte gejubelt, als endlich Manrique de Lara die Castros stürzte. Allein die Castros blieben mächtig in ihrer Gaugrafschaft, und sie hatten
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