Die Juedin von Toledo
Schicksal sind identisch, oder, philosophisch ausgedrückt: Gott ist die Summe aller Zufälle.«
Wenn Don Rodrigue dergleichen hörte, wurde er beklommen und beschloß, nicht mehr in das Castillo Ibn Esra zu gehen. Aber zwei Tage später saß er wieder in der offenen Halle unter den verwirrenden Inschriften. Manchmal brachte er sogar welche von seinen Schülern mit, am häufigsten den jungen Benjamín.
Zuweilen kam wohl auch Doña Raquel in die Rundhalleund hörte zu, wie die gelehrten Herren beim stillen Fall des Springbrunnens ihre langsamen Sätze tauschten.
Einmal, erinnert durch die Gegenwart Benjamíns, fragte Raquel den Domherrn, was er von jenem Rabbi Chanan Ben Rabua wisse und von seiner Zeitmessungsmaschine; denn Don Benjamíns Erzählung, wie jener gelehrte Rabbi verfolgt worden war und sein eigenes Werk hatte zerstören müssen, und wie sie ihn dann gefoltert und verbrannt hatten, ging ihr nicht aus dem Kopf. Don Rodrigue wollte es nicht wahrhaben, daß man Gelehrte um ihrer Wissenschaft willen gemartert habe, und er hatte die Geschichte des Rabbi Chanan nicht in seine Chronik aufgenommen. »Ich habe mir jene Zisternen in La Galiana angeschaut«, erklärte er, »es sind ganz gewöhnliche Zisternen; ich glaube nicht, daß sie jemals zur Messung der Zeit gedient haben. Ich halte es übrigens auch für unglaubwürdig, daß jener Rabbi Chanan gefoltert und getötet wurde. In den Dokumenten finde ich nichts.«
Der junge Don Benjamín, gekränkt, daß der Domherr seine Geschichte des Rabbi Chanan anzweifelte, sagte bescheiden, doch eifrig: »Aber ein hervorragender Gelehrter war er, das gibst sicher auch du zu, hochwürdigster Don Rodrigue. Nicht nur hat er ein herrliches Astrolab hergestellt, er hat auch die Werke des Galenus ins Arabische und ins Lateinische übersetzt und so die medizinische Wissenschaft der Alten in unsere Zeit herübergerettet.«
Don Rodrigue ging darauf nicht ein, wohl aber erzählte er von großen Ärzten der frühen Christenheit. Da waren die Heiligen Cosmos und Damian, arabischen Ursprungs übrigens, die um die Zeit des Galenus kaum weniger wunderbare Kuren vollbracht hatten als dieser. Ihre Nebenbuhler zeigten an, daß sie Christen waren. Die Richter verurteilten sie, und man warf sie ins Meer: Engel kamen und retteten sie. Man warf sie ins Feuer: das Feuer konnte ihnen nichts anhaben. Man warf Steine auf sie: die Steine änderten ihren Lauf und steinigten ihre Feinde. Noch nachdem sie tot waren, vollbrachten sie staunenswerte Kuren. Da war etwa ein Mann,der Wundbrand im Schenkel hatte. Er betete vor dem Bild der beiden Heiligen. Er fiel in tiefen Schlaf und träumte, die Heiligen schnitten ihm das kranke Bein ab und ersetzten es durch das eines toten Arabers. Wirklich hatte er, als er erwachte, ein neues, gesundes Bein; auch den toten Araber fand man, dessen Bein die Heiligen ihm eingefügt hatten.
»Das müssen große Zauberer gewesen sein«, anerkannte Doña Raquel. Musa aber meinte: »Die moslemischen großen Ärzte haben ihre besten Heilerfolge erzielt, während sie am Leben waren. Auch kenne ich manchen Christen, der bei einer ernstlichen Erkrankung gern einen jüdischen oder moslemischen Arzt zu Rate zieht.« Don Rodrigue, weniger friedfertig als sonst, antwortete: »Wir Christen lehren, Bescheidenheit ist eine Tugend.« Musa gab freundlich zu: »Lehren tut ihr das, mein hochwürdiger Freund.« Don Rodrigue lachte. »Nichts für ungut«, sagte er. »Sollte ich erkranken, dann werde ich glücklich sein, wenn du mich behandelst, o weiser Musa.«
Don Benjamín hatte heimlich in sein Merkbuch gezeichnet. Er zeigte Doña Raquel, was er gemacht hatte. Da saß ein Rabe auf einem Baum, und der Rabe trug das Gesicht des Musa. Es war unverkennbar ein Porträt und also zwiefach verboten. Aber es war ein lustiges, freundliches Porträt, und Raquel gefiel die Zeichnung und der, der sie gemacht hatte.
Da der König nichts gegen die Castros unternahm, wurden ihre Anhänger immer dreister. Wie seinerzeit die Leute von Burgos den Nationalhelden, den Cid Compeador, gegen den Sechsten Alfonso, so verteidigten jetzt die rebellischen Barone die Castros gegen den Achten: »Was für gute Vasallen wären sie, hätten sie nur einen besseren König.« Die Herren de Nuñez und de Arenas, da der König verfallene Abgaben einforderte, höhnten: »Komm doch, Don Alfonso, und hol dir deine Gelder von uns, so wie du deine Untertanen aus den Burgen der Castros zurückholst!«
Don Alfonso wütete. Wenn
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