Die Juliette Society: Roman (German Edition)

zwischen all diesen Welten hin und her wechseln. Geliebte, Pornostar, Groupie, Callgirl. Für sie sind das keine Jobbezeichnungen, bloß verschiedene Typen des Verlangens. Sie fühlt sich nicht ausgebeutet, also ist es ihr egal, was die Leute von ihr halten. Und weil es ihr Spaß macht, hat sie auch kein Problem damit, Geld dafür anzunehmen. Für sie ist das ein fairer Handel.
    Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, sie lebt auf Messers Schneide. Als wäre der Sex eine Notwendigkeit, die dazu dient, ihre innere Leere auszufüllen, eine Leere, die sich niemals ausfüllen lässt. Aber sie ist ein kluges Mädchen, also wird sie irgendwann erkennen, dass sie in einen Abgrund starrt. Das ist die Zukunft, die ich für Anna sehe. Und das macht mir Angst. Aber das bedeutet nicht, dass ich sie dafür verurteile. Und genauso wenig werde ich versuchen, sie zu retten. Denn für sie ist all das zum momentanen Zeitpunkt lohnenswert. Sie redet sich ein, dass es sie erfüllt. Vielleicht ist ihr das letztendlich auch genug, und wer bin ich, dass ich versuchen würde, sie eines Besseren zu belehren?
    Und ich?
    Das ist die Frage.
    Was ist mit mir?
    Was ist mir das alles wert? Was ist der Preis, den ich bezahlen muss?
    Und wie hätte ich das denn alles im Vorfeld wissen können? Sex ist schließlich kein Supermarktregal, wo man erst mal alle Angebote durchgeht und die Preise vergleicht, bevor man sich entscheidet, was man kauft.
    Nehmen wir also mal an, ich war mir vollkommen klar und bewusst über alles, was ich tat. Dann ist es doch gleich viel interessanter, oder? Denn dann gibt es keine Ausreden, niemanden, dem man die Schuld zuschieben kann.
    Ich rede hier nicht bloß über die Dinge, die ich getan habe, sondern auch über meine Fantasien und Träume. Die Orte, an die mich mein Unterbewusstsein geführt hat. Denn im Grunde hat alles denselben Ursprung. Und am Ende kommt es sowieso raus. Davon bin ich überzeugt. Am Ende kommt alles raus.
    Ich weiß nicht, wen ich hier verarschen will, mich selbst oder Jack. Mein Instinkt sagt mir, dass er es bereits weiß, dass er bereits argwöhnt, wie ich mich verändert habe. Es ist nicht bloß schwierig, vor dem Menschen, der einen liebt, der einen am besten kennt, ein Geheimnis zu bewahren – es ist unmöglich. Aber manchmal sind gerade die schreiend offensichtlichen Wahrheiten über die Menschen, die wir lieben, und über uns selbst auch die, die wir nach Möglichkeit ignorieren wollen.
    Der Instinkt ist unser stärkstes Sinnesorgan. Nicht das Sehvermögen, das Gehör, der Geruch-, der Tast- oder der Geschmacksinn – der Instinkt. Er vereint alle anderen in sich und geht darüber hinaus, und wenn wir lernen, ihm zu vertrauen, dann ist kein Weg, den wir uns einzuschlagen wagen, der falsche, dann wird sich keine Handlung, für die wir uns entscheiden, negativ auf uns auswirken können und keine Beziehung zerbrechen.
    Als ich Jack kennenlernte, wusste ich sofort, dass er der Richtige für mich ist. Nicht bloß für den Moment, für immer. Ich erinnere mich, dass ich es kaum erwarten konnte, meiner älteren Schwester von ihm zu erzählen, und schwärmte ihr atemlos vor, wie toll er doch sei. Ich dachte, sie würde sich für mich freuen. Aber sie lachte mich bloß aus.
    Sie sagte mir, ich sei noch zu jung und dass ich mir selbst etwas vormache, dass Jack zu perfekt klinge, und ich schon noch feststellen würde, dass er auch bloß ein Penner sei wie all die anderen. Aber ich schenkte ihr keine Beachtung, denn ich vertraute auf meinen Instinkt.
    Ich wurde älter und erlebte, wie meine Freundinnen einen Kerl nach dem anderen hatten und immer eine Entschuldigung fanden, sie in die Wüste zu schicken, weil sie entweder unzufrieden oder frustriert waren oder sich ausgenutzt fühlten. Ich beobachtete das alles und beschloss, nicht so zu werden wie sie. Diese Mädchen sind heute alle Singles, und ich habe das Gefühl, dass sie eigentlich immer Single waren, weil sie ständig auf der Jagd nach Mister Right sind. Sie haben ein Bild im Kopf, wie er sein muss, wie er aussieht, was er macht und wie er sich verhält. Und es ist nichts als ein Hirngespinst. Es ist derselbe Scheiß, den man uns Frauen verkauft seit … immer.
    Der Traumprinz. Der perfekte Mann. Barbies Ken. Das Musterexemplar. Der begehrteste Junggeselle. Der perfekte Ehemann. Denn diese Typen, diejenigen, die unfassbar gut aussehen, diejenigen, die ach so charmant sind, die, die einen umhauen und die zu gut, um wahr zu sein, scheinen, tja,