Die jungen Rebellen
verlorengegangene Stimme seiner Mutter hört; und Tante Etelka beugt sich mit seltsamen Gebärden über ihn.
Erstaunt sieht er sich um. Das Mädchen folgt verwirrt seinem Blick. Das Zimmer ist in einem heillosen Zustand.
Die Clique hat alles zertrampelt und zertreten, zerrissene Bücher liegen unter dem Bett, in der klebrigen Lache einer umgefallenen Likörflasche schwimmt ein gebundener Jahrgang des Witzblattes »Fidibus« und verbreitet einen ekelhaft süßlichen Geruch. Auf dem Plüschbezug eines Sessels ist der dreckige Abdruck eines Schuhs zu sehen. Kissen liegen auf dem Boden.
Er hatte um elf Uhr vormittags die Maturaprüfung abgelegt und im Hof der Lehranstalt auf die anderen drei aus der Clique gewartet, die in der Reihenfolge des Alphabets nach ihm drankamen, und dann sind sie ohne Umwege gleich zu ihm nach Hause gegangen. Béla, der Sohn des Kolonialwarenhändlers, hat erst von hier aus mit seinem Vater telephoniert und ihm gesagt, daß er bestanden habe und nicht zum Mittagessen kommen werde. Tibor gab zu Hause nicht Bescheid, daß er durchgefallen war: Seine schwerkranke Mutter würde es noch früh genug erfahren, am Abend oder morgen. Es war ohnehin nebensächlich, zählte im Augenblick so wenig, daß sie überhaupt nicht darüber sprachen. In sechs Wochen würden sie eingezogen, ob sie sich nun freiwillig meldeten oder nicht, und Ende August wären sie an der Front, auch wenn sie die Ausbildung noch hinauszögerten.
Er setzt sich aufs Bett. Schaut auf das Mädchen. Wenn ich nicht so feige wäre, denkt er, würde ich sie jetzt an mich ziehen und den Kopf an ihre Brust legen. Schade, daß sie nach Küche riecht und ich Küchengeruch nicht ausstehen kann, schließlich komme ich aus bester Familie, mein Großvater hatte ein Gut, und mein Vater ist praktizierender Arzt. Alles hat seinen Grund. Es ist vielleicht gemein von mir, aber ein Geruch kann manchmal stärker sein als die Vernunft. Möglich, daß auch sie meinen Geruch nicht mag; es gibt eben unüberwindliche Hürden zwischen den Menschen.
Das Mädchen ist seit einem Jahr im Haus und hat mit ihren üppigen Formen seine Phantasie schon manchmal angeregt, war ihm Sehnsuchts- und Lustobjekt bei geheimen Träumen und verbotener Selbstbefriedigung. Das Gesicht des Mädchens ist angenehm, weiß und weich, und der blonde Zopf, dicht am Scheitel geflochten, sieht spaßig aus.
Das Mädchen räumt nun das Zimmer auf, und er bittet sie, was ihm ein wenig peinlich ist, mit leiser Stimme um ein Glas Milch. Er genießt dieses kühle, sanfte Getränk der Kindheit, der verlorenen Welt, in kleinen Schlucken, denn seit Tagen haben sie pausenlos Wein und Schnaps in sich hineingegossen, süße, klebrige Spirituosen, die er großspurig stumm schluckte, mochte sich sein Magen noch so sehr dagegen wehren.
Er geht zum Schrank, und während das Mädchen sein Zimmer aufwischt und das Bett macht, nimmt er sich einen frischen Kragen und bürstet seinen Rock aus. Das Mädchen fegt die unter dem Tisch verstreuten Blätter eines Kartenspiels zusammen; jetzt fällt ihm ein, daß er kein Geld mehr hat. In verschiedenen Rocktaschen findet er insgesamt noch drei Kronen, er versteht das im Augenblick nicht, denn die Tante hat ihm am Morgen, bevor er in die Prüfung ging, einen Zwanzigkronenschein überreicht. Er überlegt, wo das Geld geblieben sein kann. Nach dem Festessen, das die Tante gab, fingen sie sofort mit dem Ramschen an, und er hat verloren. Dunkel erinnert er sich, daß er gar nicht hatte spielen wollen, aber einer der Freunde –Tibor oder Ernő bestand darauf. Er schiebt das Geld in die Tasche und sagt dem Mädchen, man solle mit dem Abendessen nicht auf ihn warten, möglicherweise komme er erst spät heim.
In der Tür bleibt er stehen: Ein Herz-As liegt auf der Schwelle. Zerstreut hebt er die fettige, abgegriffene Karte auf, um sie zu dem Kartenpacken auf dem Tisch, den das Mädchen zusammengekehrt hat, zu legen. Die oberste Karte, die er erblickt, ist ebenfalls ein Herz-As. Vorsichtig, mit zwei Fingern, greift er danach, sieht sich die Karte genau an, dreht und vergleicht sie mit dem As, das er von der Türschwelle aufgehoben hat. Das ungarische Kartenspiel hat im allgemeinen nur ein Herz-As. Aber hier sind zwei davon, beide gleich abgegriffen, fleckig, vertraueneinflößend, mit blaugemusterter Rückseite. Er setzt sich an den Tisch und legt die Karten nach Farben aus. Findet noch zwei Eichel-Asse, zwei grüne Zehner, zwei Schellen-Zehner. Vier Schlager könnte
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