Die Jungfernbraut
ganzen Welt gehalten. Aber sie hatte sich geirrt. Keiner von beiden konnte Colin Kinross das Wasser reichen.
»Sinjun, du benimmst dich wirklich höchst merkwürdig. Bist du krank? Oder hat Mutter dich wieder gequält?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das tut sie doch immer — zu meinem eigenen Besten, wie sie immer betont.«
»Ich werde noch einmal mit ihr sprechen.«
»Douglas . . .«
Er traute seinen Augen kaum: sie starrte ihre Fußspitzen an und zupfte nervös an ihrem Musselinrock. Endlich ging ihm ein Licht auf. »Mein Gott«, murmelte er langsam, »du hast einen Mann kennengelernt.«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Sinjun, ich weiß genau, daß du dein Taschengeld nicht zum Fenster hinausgeworfen hast. Du hältst es so zusammen, daß du in ein paar Jahren reicher sein wirst als ich. Mutter schikaniert dich, aber das meiste prallt an dir doch einfach ab. Wenn du ehrlich bist, geht dir doch alles, was sie sagt, zu einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Alex und ich lieben dich geradezu unvernünftig, und wir tun unser möglichstes, damit du dich wohl fühlst. In etwa einer Woche kommen auch noch Ryder und Sophie und . . .«
»Ich weiß, wie er heißt, aber ich habe ihn noch nicht kennengelernt!«
»Aha.« Douglas faltete seine Hände unter dem Kinn und grinste seine Schwester an. »Und wie heißt er?«
»Colin Kinross, Earl of Ashburnham. Er ist Schotte.«
Jammerschade, dachte Douglas, daß es nicht einfach Thomas Mannerly ist, für den sie schwärmt.
»Kennst du ihn?« fragte sie begierig. »Ist er verheiratet? Verlobt? Ist er ein Spieler? Ein Weiberheld? Hat er andere Männer in Duellen getötet?«
»Ich muß dich enttäuschen, Sinjun — ich kenne ihn nicht. Ein Schotte! Warum interessierst du dich so für ihn, wenn du noch kein Wort mit ihm gewechselt hast?«
»Ich weiß es nicht.« Einen Augenblick lang sah sie sehr verletzlich aus. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln und zuckte die Achseln, in einem wenig erfolgreichen Versuch, ihr burschikoses altes Ich zur Schau zu tragen. »Aber ich kann es nicht ändern.«
Douglas betrachtete sie aufmerksam. »Also gut«, sagte er, »ich werde alles über diesen Colin Kinross herausfinden.«
»Du wirst doch niemandem etwas davon erzählen?«
»Ich werde natürlich Alex einweihen, aber sonst niemanden.«
»Es stört dich doch nicht, daß er Schotte ist?«
»Nein. Warum sollte mich so etwas stören?«
»Thomas Mannerly hat sich ziemlich verächtlich über schottische Barbaren geäußert.«
»Thomas hatte einen Vater, der die feste Überzeugung vertrat, daß ein echter Gentleman schon mit dem ersten Atemzug nach der Geburt die herrliche reine Luft Englands in sich aufnehmen müsse. Offenbar hat Thomas manche der absurden Theorien seines verstorbenen Vaters übernommen.«
»Danke, Douglas.« Sinjun küßte ihn auf die Wange und tänzelte hinaus.
Er blickte ihr nachdenklich nach. Was er als einziges gegen einen Schotten als Schwager einzuwenden hätte, war die Tatsache, daß sie dann sehr weit von ihrer Familie entfernt leben würde.
Als er kurze Zeit später das eheliche Schlafgemach betrat, saß Alex vor ihrer Frisierkommode und bürstete ihr Haar. Er fing ihren Blick im Spiegel auf, lächelte und begann sich auszuziehen.
Alex legte die Bürste hin und drehte sich nach ihm um.
»Willst du mich etwa beobachten, bis ich nur noch im Adamskostüm vor dir stehe?«
Sie nickte grinsend.
»Du verschlingst mich ja regelrecht mit deinen Blicken, Alex. Befürchtest du, daß ich zugenommen haben könnte? Willst du dich davon überzeugen, daß all meine Glieder noch voll funktionstüchtig sind?«
Sie grinste nur noch breiter. »O nein. Ich nehme an, daß du noch hundertprozentig intakt bist. Jedenfalls warst du es gestern abend und heute morgen und ...« Sie kicherte.
Er ging nackt auf sie zu, hob sie hoch und trug sie zum Bett.
Als er endlich wieder klar denken und vernünftig reden konnte, streckte er sich neben seiner Frau aus und berichtete: »Unsere Sinjun ist verliebt.«
»Aha, also deshalb benimmt sie sich so eigenartig.« Alex stützte sich gähnend auf einen Ellbogen auf.
»Sein Name ist Colin Kinross.«
»O Gott!«
»Was ist?«
»Irgend jemand hat ihn mir neulich bei einem Hauskonzert gezeigt. Er sieht sehr kraftvoll und eigensinnig aus.«
»Das hast du auf den ersten Blick erkannt?«
»Er ist sehr groß, vielleicht sogar noch etwas größer als du. Das ist gut, denn Sinjun ist sehr groß für eine Frau. Aber er machte auf mich
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