Die Jungfernbraut
Abgrund näher. Und jene andere Kategorie von Weibern hätte es doch nur auf mein nicht vorhandenes Geld abgesehen und würde Geschenke noch und noch erwarten. Nein, ich habe keine Zeit für Ablenkungen, Brass. Ich muß einfach eine Erbin finden, die halbwegs passabel aussieht.«
Seine Stimme war tief und weich, humorvoll und etwas sarkastisch. Lord Brassley lachte wieder, winkte einem Freund zu und entfernte sich von dem Schotten. Sinjun hatte nicht die Absicht, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen. Sie trat direkt vor ihn hin und wartete geduldig, bis sein Blick endlich auf ihr Gesicht fiel. Als er fragend seine schwarzen Brauen hob, streckte sie ihm einfach die Hand entgegen und sagte ohne Umschweife. »Ich bin eine reiche Erbin.«
KAPITEL 2
Colin Kinross starrte das junge Mädchen an, das mit ausgestreckter Hand vor ihm stand und — wenn ihn nicht alles täuschte — ziemlich aufgeregt war. Er selbst war völlig von den Socken, wie Philip sich ausdrücken würde, und fragte deshalb, um etwas Zeit zu schinden: »Entschuldigen Sie bitte — was haben Sie gesagt?«
Ohne zu zögern, wiederholte Sinjun klar und deutlich: »Ich bin eine reiche Erbin. Sie sagten doch, Sie müßten eine reiche Erbin heiraten.«
Er murmelte spöttisch, immer noch um Fassung bemüht: »Und Sie sehen mehr als passabel aus.«
»Es freut mich, daß Sie dieser Ansicht sind.«
Ihre Hand war noch immer ausgestreckt, und automatisch reichte er ihr die seine. Eigentlich hätte er sie an seine Lippen führen müssen, aber dieses seltsame Mädchen hielt sie ihm hin wie ein Mann. Eine kräftige Hand, dachte er, schlanke Finger, sehr hellhäutig.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er, »daß Sie eine reiche Erbin und zudem noch attraktiv sind. Äh . . . Entschuldigung, ich heiße Ashburnham.«
Sie lächelte ihn an, und ihre Augen verrieten nur allzu deutlich ihre Gefühle. Seine Stimme war einfach wundervoll, tief und samtig, viel verführerischer als die Stimmen ihrer Brüder, die diesem herrlichen Mann aber auch sonst nicht das Wasser reichen konnten. »Ja, ich weiß. Und ich bin Sinjun Sherbrooke.«
»Seltsam — Sinjun ist doch eigentlich ein männlicher Spitzname.«
»Na ja, mein Bruder Ryder hat mich so getauft, als ich neun Jahre alt war. Mein richtiger Name ist Joan, und er hat versucht, mich als Saint Joan — als hl. Johanna — auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, aber irgendwie wurde dann Sinjun daraus, die Abkürzung von Saint John, und dabei ist es dann geblieben.«
»Mir gefällt Joan besser. Er klingt viel weiblicher.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, weil seine Bemerkung sich so lächerlich anhörte. »Ihr Verhalten hat mich völlig überrascht«, fuhr er fort. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und Sie wissen nicht, wer ich bin. Mir ist einfach unbegreiflich, warum Sie das getan haben.«
Ihre hellblauen Augen strahlten ihn arglos an. »Ich habe Sie auf dem Ball bei den Portmaines und dann beim Hauskonzert der Ranleaghs gesehen«, erklärte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit. »Ich bin eine reiche Erbin, und Sie suchen eine Frau mit viel Geld. Wenn Sie nicht gerade ein Troll sind — dem Charakter nach, meine ich natürlich —, könnten Sie vielleicht in Erwägung ziehen, mich zu heiraten.«
Colin Kingross, für seine Freunde einfach Ash, konnte das Mädchen nur anstarren, das ihn verzückt ansah. »Das ist wirklich das Merkwürdigste, was mir je passiert ist«, sagte er, »und das war noch sehr stark untertrieben. Abgesehen von einem Erlebnis in Oxford, als die Frau eines Professors sich partout mit mir amüsieren wollte, während ihr Mann im Nebenraum einem meiner Freunde Lateinunterricht gab. Sie wollte sogar, daß die Tür einen Spalt weit offenstand, damit sie ihren Mann sehen konnte, während sie es mit mir trieb.«
»Haben Sie's gemacht?«
»Was? Oh, es mit ihr getrieben?« Er hüstelte verlegen und rief sich energisch zur Ordnung. »Das weiß ich nicht mehr«, erklärte er streng. »Außerdem ist es ein Vorfall, den man am besten schnell vergessen sollte.«
Sinjun seufzte. »Meine Brüder hätten mir die Wahrheit gesagt, aber Sie kennen mich ja nicht, und deshalb kann ich von Ihnen wohl noch kein großes Vertrauen erwarten. Ich weiß, daß ich keine Schönheit bin, und dies ist meine zweite Saison, ohne daß ich einen festen Verehrer hätte, geschweige denn einen Verlobten. Aber ich bin reich, und im Grunde bin ich eine ganz nette Person.«
»Sie scheinen sich nicht ganz richtig
Weitere Kostenlose Bücher