Die Jungfrau Im Eis
haben Bruder Elyas gefunden und wollten ihn erschlagen, wie es wohl ihre Gewohnheit bei jedem war, der ihnen bei ihren Raubzügen über den Weg lief und sie verraten konnte. Aber Schwester Hilaria - nein, das glaube ich nicht. In jener Nacht haben sie noch vor Morgengrauen bei Druels Hof zugeschlagen. Ich glaube nicht, daß sie einen Umweg von einer halben Meile gemacht haben, um zu der Hütte zu gehen. Warum sollten sie auch? Sie wußten ja nicht, daß es dort etwas gab, das den Weg lohnte. Und außerdem hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, ihren Leichnam zu verstecken und auch die Kleider hätten sie mitgenommen. Nein es kam jemand zu der Hütte, weil sie tatsächlich auf seinem Weg lag und ich denke, er ging hinein, weil der Schneesturm wütend tobte und er dachte, er könne dort abwarten, bis das Schlimmste vorüber sei.«
»Aber das hätte jeder sein können«, rief Yves aufgebracht über diese Ohnmacht der Gerechtigkeit, »und wir werden nie herausfinden, wer es war.«
Aber Cadfael dachte daran, daß es eine Person gab, die wußte, wer der Mörder war. Morgen würde man weitersehen.
Aber davon sagte er nichts. »Nun, wenigstens brauchst du dir um Bruder Elyas keine Sorgen mehr zu machen«, bemerkte er statt dessen. »Seine Sünden sind ihm so gut wie erlassen und er wird leben und wirken und unserem Orden Ehre machen.
Wenn du noch nicht müde bist, darfst du dich für eine Weile zu ihm setzen. Er hat im rechten Augenblick Anspruch auf dich erhoben und solange du hier bist, magst du dich um ihn kümmern.«
Ermina saß in der Halle vor dem Feuer und nähte noch immer am Ärmel ihres Kleides. Sie arbeitet gegen die Zeit, dachte Cadfael, als sie nur kurz aufsah und sich gleich wieder ohne großes Geschick ihrer ungewohnten Tätigkeit widmete.
Das Lächeln, das sie ihm zuwarf, war ernst und verhalten.
»Mit Yves ist alles in Ordnung«, sagte Cadfael einfach. »Er hat sich Gedanken über etwas gemacht, das Bruder Elyas im Schlaf gesagt hat. Es klang wie ein Mordgeständnis, aber in Wirklichkeit war es etwas ganz anderes.« Er erzählte ihr die ganze Geschichte. Warum auch nicht? Vor seinen Augen war sie zu einer Frau geworden, die sich plötzlich Verpflichtungen gegenübersah und sich ihnen tapfer stellte. »Es lastet jetzt nichts mehr auf seiner Seele, außer der Angst, daß der wahre Mörder unentdeckt bleiben könnte.«
»Er braucht keine Angst zu haben«, sagte Ermina, sah auf und lächelte - ein anderes Lächeln diesmal, geheimnisvoll und zuversichtlich. »Gottes Gerechtigkeit muß unfehlbar sein. Es wäre Sünde, daran zu zweifeln.«
Cadfael ging nicht weiter darauf ein. »Jedenfalls wird er jetzt bereit und willens sein, sich wieder auf den Weg zu machen.
Ja, er wird darauf brennen. Dein Olivier hat einen Verehrer, der ihm bis ans Ende der Welt folgen würde.« Ihre funkelnden, stolzen Augen sahen ihn durchdringend an; in ihren Tiefen ließ der Feuerschein rote Funken aufglühen.
»Er hat zwei«, sagte sie.
»Wann wollt ihr aufbrechen?«
In ihrem Gesicht malte sich weder Überraschung noch Bestürzung. »Wie habt Ihr das herausbekommen«, fragte sie neugierig.
»Würde jemand wie er seine Arbeit unvollendet lassen und gestatten, daß die beiden, die zu finden er ausgeschickt wurde, von jemand anderem zurückgebracht werden - und sei es auch noch so ritterlich? Natürlich wird er seinen Auftrag getreu erfüllen wollen. Nichts anderes erwartet man von ihm.«
»Wollt Ihr ihn daran hindern?« Aber sogleich wischte sie diese Bemerkung mit der Hand, die die Nadel hielt, beiseite.
»Entschuldigt! Ich weiß, das werdet Ihr nicht tun. Ihr habt ihn jetzt mit eigenen Augen gesehen und wißt, was für ein Mann er ist! Er hat mir durch Yves Bescheid geben lassen. Morgen, wenn die Mönche nach der Komplet zu Bett gehen, wird er kommen.«
Cadfael überlegte kurz und sagte dann: »Ich würde so lange warten, bis die Brüder zur Frühmette und Laudes gegangen sind, denn dann wird der Pförtner mit den anderen in der Kirche sein. Und bis zur Prim ist dann alles ruhig. So könnt ihr beide vor dem Ritt noch etwas schlafen. Ich werde euch wecken und zum Tor hinausgeleiten. Wenn er während der Komplet kommt, kann ich ihn hineinholen, bis es Zeit ist zu gehen.
Vorausgesetzt natürlich, ihr vertraut mir.«
»Ich danke Euch für Euer Angebot«, sagte sie ohne zu zögern. »Wir werden Euren Rat befolgen.«
»Und Ihr«, sagte Bruder Cadfael und sah die Naht mit jedem heftigen Stich länger werden, »werdet Ihr
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