Die Jungfrau Im Eis
zurückzukehren, um mit ihr weiter zu gehen, ans Ziel unserer Reise. So wie Ihr es getan habt.«
Plötzlich verstand Yves. Er beugte sich vor und wartete mit angehaltenem Atem auf die Antwort. Und Bruder Elyas warf gequält den Kopf auf dem Kissen hin und her und klagte laut:
»O Gott, warum habe ich sie verlassen? Daß ich nicht die Standhaftigkeit und die Stärke des Glaubens hatte, diese Sehnsucht zu ertragen...! Wo war der Friede, den man mir versprach? Ich schlich mich davon und ließ sie allein. Und nun ist sie tot!«
»Die Toten sind in Gottes Hand«, sagte Cadfael, »sowohl Hunydd als auch Hilaria. Ihr dürft sie nicht zurückwünschen. Ihr habt jemanden, der bei Gott für Euch eintritt. Glaubt Ihr denn, sie habe vergessen, daß Ihr sie mit Eurem Umhang zugedeckt habt, bevor Ihr hinausgegangen seid, daß Ihr, nur mit Eurer Kutte bekleidet, vor ihr geflohen seid und Euch lieber während der langen Stunden bis zum Morgen der bitteren Kälte ausgesetzt habt? Es war eine mörderische Nacht.«
»Aber es hat ihr weder geholfen, noch hat es sie gerettet«, erwiderte Bruder Elyas hart. »Ich hätte die Festigkeit des Glaubens haben sollen, der Versuchung zu widerstehen und trotz des Feuers in mir bei ihr zu bleiben...«
»Das macht mit Eurem Beichtvater aus«, sagte Cadfael bestimmt, »wenn Ihr soweit wiederhergestellt seid, daß Ihr nach Pershore zurückkehren könnt. Aber Ihr sollt nicht, Ihr dürft nicht mehr Schuld auf Euch nehmen, als er Euch zuweist. Alles, was Ihr tatet, habt Ihr aus Sorge um sie getan. Für Eure Verfehlungen werdet Ihr sühnen - was aber ohne Fehl war, müßt Ihr anerkennen. Es ist nicht sicher, daß die Dinge einen anderen Verlauf genommen hätten, wenn Ihr bei ihr geblieben wärt.«
»Schlimmstenfalls wäre ich mit ihr gestorben«, flüsterte Bruder Elyas.
»Aber innerlich seid Ihr ja mit ihr gestorben! Ihr wurdet in jener Nacht einem gewaltsamen Tod ausgeliefert, so wie Ihr Euch dem Tod durch die Kälte bereits ausgeliefert hattet. Und wenn Ihr von beiden errettet wurdet und erkennen müßt, daß Ihr in diesem Leben noch viele leidvolle Jahre vor Euch habt«, sagte Cadfael, »dann weil Gott will, daß Ihr lebt und leidet.
Hütet Euch davor, mit Eurem Los zu hadern. Sagt nun, vor Gott und uns, die wir Euch zuhören, daß Ihr sie lebend verlassen habt und vorhattet, am Morgen - wenn Ihr dann noch lebtet - zu ihr zurückzukehren und sie wohlbehalten bis zum Ziel ihres Weges zu begleiten. Was könnte man mehr von Euch erwarten?«
»Mehr Mut«, klagte der abgezehrte Mann und verzog das Gesicht zu einem bitteren, aber menschlichen Lächeln. »Es war alles so, wie Ihr gesagt habt. Ich habe in guter Absicht gehandelt. Gott möge mir vergeben, daß es so schlecht ausgegangen ist.«
Demut glättete die tiefen Falten in seinem Gesicht und aus seiner bis dahin klagenden Stimme klang jetzt Ergebenheit.
Jetzt gab es nichts mehr, wonach er in seinem Gedächtnis graben mußte, um es beichten zu können - es war alles gesagt und verstanden worden. Bruder Elyas streckte seinen langen Körper, erbebte und fand seinen Frieden. Seine Schwäche half ihm dabei und widerstandslos sank er in Schlaf. Er schloß die schweren Lider; die Falten auf der Stirn, um den Mund und um die tiefen Augenhöhlen verschwanden. Langsam schwebte er hinab in die unendlichen Tiefen von Buße und Vergebung.
»Ist das wirklich die Wahrheit?« fragte Yves mit einem ehrfürchtigen Flüstern, sobald sie leise die Tür hinter sich geschlossen hatten.
»Ja, ganz gewiß. Er hat eine leidenschaftliche Seele, verlangt zuviel von sich und schätzt das, was er geben kann, gering.
Ohne seinen Umhang trotzte er lieber der kalten Nacht und dem furchtbaren Schnee, als Schwester Hilaria seiner Begehrlichkeit auszusetzen, auch wenn er sie unterdrückte. Er wird leben und seine Seele wird Frieden mit seinem Körper schließen. Allerdings wird das seine Zeit dauern«, sagte Bruder Cadfael nachsichtig.
Wenn ein dreizehnjähriger Junge wenig von all diesem begreifen oder es nur als einer verstehen konnte, der die Theorie kennt, die Praxis jedoch nie erfahren hat, so ließ Yves es sich nicht anmerken. In den Augen, mit denen er Bruder Cadfael ansah, lag Verständnis. Er war beruhigt, dankbar und glücklich, daß ihm auch diese letzte Last von der Seele genommen war.
»Dann ist sie also doch diesen Räubern in die Hände gefallen«, sagte er. »Sie war allein, nachdem Bruder Elyas sie verlassen hatte.«
Cadfael schüttelte den Kopf. »Sie
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