Die Jungfrau Im Eis
morgen nacht ebenso bereit sein wie Yves, von hier aufzubrechen?« Wieder sah sie ihn an, ruhig diesmal, ohne etwas zu verbergen oder zu offenbaren. Das langsam niederbrennende Feuer ließ abermals die roten Funken in ihren Augen aufglühen, ihr Gesicht jedoch blieb eine ausdruckslose Maske. »Ja, ich werde bereit sein«, sagte sie und beugte sich wieder über ihre Näharbeit, bevor sie hinzufügte: »Morgen wir alles getan sein.«
15. Kapitel
Die Nacht war sternklar und still, und es gab kaum Frost. Mit dem Sonnenaufgang ging die zweite Nacht zu Ende, in der es nicht geschneit hatte. Die Schneewehen begannen zu schmelzen, noch bevor jenes langsame Tauwetter einsetzte, das die Wege gemächlich, fast unmerklich, von Schnee befreit und keine Überschwemmungen verursacht.
Nachdem er den Abtransport einer erstaunlichen Menge gestohlener Güter und die völlige Zerstörung der niedergebrannten Festung beaufsichtigt hatte, war Hugh Beringar spät am Abend zurückgekehrt. In den Trümmern der Hütten entlang der Palisade hatte man die Leichen zweier ermordeter Gefangener gefunden, die so lange gefoltert worden waren, bis sie alles von Wert hergegeben hatten. Drei weitere Gefangene hatten diese Behandlung überlebt. Sie wurden jetzt in Ludlow gepflegt, wo Josce de Dinan auch die überlebenden Räuber in Ketten gelegt hatte. Von den Männern des Sheriffs waren achtzehn verwundet und noch mehr hatten kleinere Kratzer abbekommen, aber es hatte keinen Toten gegeben. Die Eroberung des Räubernestes hätte größere Opfer fordern können.
Freudestrahlend und erleichtert ging Prior Leonard über den kühlen, aber sonnenbeschienenen Hof. Die Gegend war von einer Plage befreit, die beiden Vermißten befanden sich wohlbehalten im Kloster und Bruder Elyas lag sprachlos vor Verwunderung und Dankbarkeit in seinem Bett und hatte wieder neuen Mut gefaßt, sich einem von Freude oder auch von Schmerz erfüllten Leben zu stellen. Seine Augen waren jetzt klar und geduldig; Tadel und Ermahnungen nahm er demütig und ergeben an. Sein Körper würde bald ebenso genesen sein wie sein Geist.
Nach dem Hochamt trafen bald die Besitzer der Pferde ein, wie sich auch zweifellos die Eigentümer der Kühe und Schafe in Ludlow versammelten. Gewiß würden einige der Tiere von zwei Männern beansprucht werden; Streitigkeiten würden aufkommen und Nachbarn herbeigerufen werden, die die fraglichen Stücke Vieh identifizieren mußten. Aber da es sich hier nur um sieben Pferde handelte, gab es für Gierige im Kloster nichts zu holen. Pferde kennen ihren Besitzer ebenso gut wie umgekehrt. Auch die Kühe in Ludlow wußten wahrscheinlich selbst, wohin sie gehörten.
Einer der ersten war John Druel, der den ganzen Weg von Cleeton gelaufen war. Er brauchte seinen Besitz gar nicht erst nachzuweisen, denn der kräftige, braune Hochlandhengst wieherte ihm entgegen, kaum daß der Bauer die Pferdekoppel betreten hatte. Er beschnupperte Johns Ohr und der umarmte den Hals des Hengstes, untersuchte ihn am ganzen Körper und weinte, sein Gesicht an den Kopf des Pferdes gelegt. Dies war sein einziges Pferd und für ihn stellte es ein Vermögen dar.
Yves hatte ihn kommen sehen und war losgerannt, um Ermina zu holen. Beide eilten aus dem Haus, um den Bauern zu begrüßen und sich bei ihm, soweit es ihre Mittel noch erlaubten, mit Geschenken zu bedanken.
Eine Frau aus Whitbache nahm das Pferd ihres toten Mannes mit und ein schmaler, ernster Junge von demselben Gut kam scheu und demütig, um ein stämmiges Arbeitspferd zu holen, das nur widerstrebend mitging. Es wollte seinen Herren, nahm aber dann schließlich doch, mit einem fast menschlichen Seufzer, mit dessen Sohn vorlieb.
Erst als die Mönche im Refektorium ihr Mittagsmahl eingenommen hatten und Bruder Cadfael wieder in das gleißende Sonnenlicht auf den Hof getreten war, ritt Evrard Boterei durch das Tor, stieg von seinem Pferd und sah sich suchend nach jemandem um, an den er sich wenden konnte. Er war immer noch etwas abgemagert und blaß vom Fieber, aber seinen energischen Bewegungen und dem hellen Glanz seiner Augen konnte man entnehmen, daß er bereits fast gänzlich wiederhergestellt war. Mit hoch erhobenem Kopf und gebieterischem Blick stand er da und runzelte leicht die Stirn, daß kein Stallbursche herbeigeeilt kam, um ihm die Zügel abzunehmen. Er war ein schöner junger Mann, blond wie die Mähne seines Pferdes und wußte nur zu gut, welchen Eindruck sein Äußeres und sein Adelsstand auf andere machte.
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