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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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geworfen worden und auch ihn fand man in einiger Entfernung der Hütte. Wenn er dich nicht dorthin geführt hätte, würden wir nichts von diesen Dingen erfahren haben. Natürlich glaube ich dir, aber darum mußt du trotzdem die Dinge erwägen, die ich dir erzählt habe. Man darf nicht behaupten, daß eine Sache sich so und so verhält, indem man nur einen Teil der Tatsachen berücksichtigt - und selbst wenn es sich um ein solches Geständnis handelt - und andere beiseite läßt, weil man sie nicht erklären kann. Wenn es um Leben und Tod geht, muß man eine Antwort finden, die alles erklärt.«
    Mutlos sah Yves ihn an. Er verstand zwar die Worte, vermochte jedoch keine Hoffnung auf Hilfe in ihnen zu sehen.
    »Aber wie können wir eine solche Antwort finden? Und wenn wir sie finden und es ist die falsche...« Er brach ab und begann erneut zu zittern.
    »Die Wahrheit ist nie die falsche Antwort. Wir werden sie herausfinden, Yves, und zwar indem wir denjenigen fragen, der sie kennt.« Er erhob sich und bedeutete dem Jungen, ihm zu folgen.
    »Wir werden jetzt zu Bruder Elyas gehen und noch einmal mit ihm reden.« Stumm und schwach wie zuvor lag Elyas da; und doch hatte er sich verändert, denn seine Augen waren geöffnet. Sie blickten wach und illusionslos - und in ihnen stand der große Schmerz, den er in sich barg und für den es keine Heilung gab. Er hatte sein Gedächtnis wiedererlangt, aber es hatte ihm nur Leid gebracht. Er erkannte sie, als sie sich zu beiden Seiten seines Bettes setzten. Der Junge war völlig durcheinander und fürchtete sich vor dem, was jetzt kommen mußte, aber Cadfael machte einen ruhigen, vertrauenerweckenden Eindruck und hatte etwas zu trinken und frische Verbände für die erfrorenen Füße mitgebracht.
    Zumindest körperlich profitierte Bruder Elyas von seiner großen Kraft, über die er als Mann in den besten Jahren verfügte. Er atmete frei und leicht und würde nicht einmal einen Zeh verlieren. Allein sein leidgeplagter Geist wehrte sich gegen die Genesung.
    »Von dem Jungen hier habe ich erfahren«, sagte Cadfael ohne Umschweife, »daß Ihr den verlorenen Teil Eures Gedächtnisses wiedergefunden habt. Das ist gut. Jeder Mann sollte über seine ganze Vergangenheit verfügen können - es ist schade um jeden Teil, den man vergißt. Nun, da Ihr wieder wißt was in jener Nacht geschah, als man Euch halbtot im Schnee fand, könnt Ihr als ganzer und nicht als halber Mann ins Leben zurückkehren. Dieser Junge hier ist der lebende Beweis dafür, daß Ihr gestern Nacht gebraucht wurdet und daß die Welt Euch auch noch weiterhin brauchen wird.«
    Mit tief in den Höhlen liegenden Augen sah der Kranke ihn an. In seinem Gesicht standen Schmerz und Bitterkeit.
    »Ich bin in der Hütte gewesen«, fuhr Cadfael fort. »Ich weiß, daß Ihr und Schwester Hilaria dort Zuflucht gesucht habt, als der Schneesturm seinen Höhepunkt erreichte. Es war eine schlimme Nacht, eine der kältesten in diesem schlimmen Monat. Es wird jetzt milder und bald werden wir Tauwetter haben. Aber in jener Nacht war es so bitterkalt; und zwei Menschen, die von diesem Wetter draußen überrascht wurden, mußten sich gegenseitig wärmen. Und so mußtet Ihr sie in Eure Arme nehmen, damit sie nicht erfror.« Die dunklen Augen waren lebendig geworden und auch in dem verwirrten Geist war Interesse erwacht. »Auch ich«, sagte Cadfael mit Bedacht, »bin in meinem Leben mit vielen Frauen zusammen gewesen und nie widerwillig oder ohne daß Liebe zwischen uns gewesen wäre. Ich weiß, wovon ich spreche.«
    Bruder Elyas war seinen Worten gefolgt. Kaum hörbar, mit einer durch das lange Schweigen heiseren Stimme, sagte er:
    »Sie ist tot. Der Junge hat es mir gesagt. Und ich trage die Schuld daran. Laßt mich ihr folgen, damit ich mich ihr zu Füßen werfen kann. Sie war so schön und sie vertraute mir. So zart und weich lag sie in meinen Armen, sie klammerte sich an mich, sie vertraute mir... o Gott!« rief Bruder Elyas. »Mußtest du mich so schwer prüfen - mich, der ich so hungrig und leer war?
    Ich konnte dieses Brennen nicht mehr ertragen...!«
    »Das kann ich verstehen«, erwiderte Cadfael. »Auch ich hätte es nicht ertragen können. Ich hätte ebenso gehandelt wie Ihr. Aus Angst um sie und aus Sorge um mein Seelenheil - obwohl das freilich kein sehr edles Motiv ist - hätte ich sie dort schlafen lassen und wäre hinausgegangen in Schnee und Kälte, weit weg von ihr, um die Nacht hindurch zu wachen und erst im Morgengrauen zu ihr

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