Die Jungfrau Im Eis
Anspruch genommen war, denn so hatte er sie noch nicht bemerkt. Und Cadfael war gar nicht überrascht, als sie nicht auf ihn zustürzte und ihn in die Arme schloß, sondern leise wieder ins Haus trat und die Tür schloß.
Also beeilte er sich auch nicht, den Jungen aus dem kleinen Krankenzimmer zu holen, in das man Bruder Elyas gebracht hatte und auch Yves ließ sich Zeit, seine Schwester zu begrüßen. Er wußte ja, daß sie hier auf ihn wartete, das hatte man ihm immer wieder versichert. Sie brauchten beide etwas Zeit, sich auf ihr Wiedersehen vorzubereiten. Zunächst verband Cadfael Bruder Elyas' wunde, halberfrorene Füße, packte sie in Wollstoff und umgab sie mit angewärmten Ziegelsteinen. Er wusch ihm Gesicht und Hände, flößte ihm mit Honig gesüßten Wein ein und deckte ihn mit den leichtesten Decken zu, die verfügbar waren. Erst dann legte er seine Hand auf Yves Schulter und führte ihn zur Gästehalle.
Als Bruder Cadfael mit Yves eintrat, saß sie am Kamin und änderte, nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, recht widerwillig ein Kleid, das man ihr aus Ludlow gebracht hatte.
Sie legte es beiseite und erhob sich. Vielleicht las sie in dem trotzigen Mund und dem geraden Blick ihres Bruders einen stummen Vorwurf, denn sie ging ihm mit schnellen Schritten entgegen und gab ihm einen kühlen, mütterlich tadelnden Begrüßungskuß.
»Da hast du ja was Schönes angerichtet«, sagte sie streng, »in einer solchen Nacht einfach davonzulaufen, ohne jemandem Bescheid zu sagen.«
»Das solltest du eher von dir sagen! Du hast das alles doch angefangen!« gab Yves von oben herab zurück. »Ich habe mein Unternehmen erfolgreich abgeschlossen. Du bist in der Nacht verschwunden, ohne jemandem Bescheid zu sagen und unverrichteter Dinge, aber so hochtrabend wie eh und je, zurückgekehrt. Du solltest den Mund lieber nicht so voll nehmen. Wir hatten wichtigere Dinge zu tun.«
»Ihr habt euch gewiß viel zu erzählen«, sagte Bruder Cadfael, der es vorzog, diese geschwisterlichen Sticheleien zu überhören, »und dazu werdet ihr noch genug Gelegenheit haben. Aber Yves muß jetzt ins Bett - er hat einige Nächte hinter sich, die selbst einen erwachsenen Mann erschöpft hätten. Als Arzt ordne ich an, daß er sich erst einmal ausschläft.«
Bereitwillig ging sie darauf ein, wenn sie auch immer noch die Stirn runzelte. Sie hatte ihm das Bett bereits gemacht - wahrscheinlich hatte sie die Decke selbst glattgestrichen - und würde sich um ihn kümmern wie eine Glucke um ihr Kücken.
Wenn er dann schlief, würde sie wohl fürsorglich an seinem Bett sitzen und etwas zu essen bereithalten, wenn er erwachte.
Aber nie, nie würde sie zugeben, daß sie sich Sorgen um ihn gemacht, ja sogar geweint und ihre überstürzte Flucht bitter bereut hatte. Und das war auch gut so, denn der Junge wäre sicher erschreckt und peinlich berührt, sollte sie je den Kopf vor ihm neigen und um Verzeihung bitten.
»Dann wollen wir also bis heute abend ruhen«, sagte Cadfael zufrieden, verließ den Raum und überließ es ihnen, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Er setzte sich für eine Weile an Bruder Elyas' Bett, sah, daß dieser in einem totenähnlichen, aber tiefen Schlaf lag und legte sich selber schlafen. Selbst ein Arzt bedarf von Zeit zu Zeit dieser einfachen Medizin.
Er hatte Prior Leonard gebeten, ihn zur Vesper wecken zu lassen und kurz vor dem Gottesdienst erschien Ermina bei ihm.
Hugh Beringar war noch nicht zurückgekehrt - zweifellos hatte er noch in Ludlow mit der Unterbringung der Gefangenen und der Lagerung der Güter zu tun, die man vom Clee heruntergebracht hatte. Dieser Tag bedeutete eine Atempause, in der man für die Erlösung von vergangenen Gefahren dankte, sich aber auch auf Aufgaben vorbereitete, die noch warteten.
»Bruder Cadfael«, sagte Ermina, die sehr schlicht, ernst und still in der Tür zu seinem Zimmer im Krankenquartier stand, »Yves möchte Euch sehen. Irgend etwas bedrückt ihn noch und ich weiß, daß er es gerade mir nicht sagen wird. Aber mit Euch will er sprechen. Werdet Ihr nach der Vesper zu ihm kommen?
Er wird dann schon gegessen haben und Euch erwarten.«
»Ja, sagt ihm, daß ich kommen werde«, sagte Cadfael.
»Und da ist noch etwas«, sagte sie zögernd. »Die Pferde, die Ihr heute morgen mitgebracht habt... stammen sie aus dem Versteck der Räuber?«
»Ja. Sie gehören zu den Höfen, die sie überfallen haben.
Hugh Beringar benachrichtigt alle, die Verluste erlitten haben, damit sie
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