Die Jungfrau Im Eis
kommen und sich ihr Eigentum wieder holen. Das Vieh und die Schafe sind in Ludlow. Vermutlich hat John Druel sich seine Tiere schon herausgesucht. Die Pferde habe ich mir nur ausgeliehen. Sie waren ausgeruht und ich brauchte sie für den Transport des Kranken. Aber warum fragst du? Was beschäftigt dich so daran?«
»Ich glaube, eines davon gehört Evrard.« Es war lange her, seit sie seinen Namen ausgesprochen hatte. Er klang ungewohnt für sie, so als habe sie sich nach langen Jahren des Vergessens wieder an ihn erinnert. »Wird auch er benachrichtigt werden?«
»Gewiß. Callowleas wurde geplündert und unter den geretteten Sachen wird einiges sein, das ihm gehört.«
»Ich hoffe, es erzählt ihm niemand, daß ich hier bin«, sagte Ermina, »wenn er es nicht schon weiß. Er kann ruhig wissen, daß ich in Sicherheit bin, aber ich will nicht, daß er damit rechnet, mich hier zu sehen.«
Daran war nichts Seltsames. Sie hatte diese ganze Episode hinter sich gelassen und wollte sich die Peinlichkeit und den Schmerz ersparen, Boterei gegenübertreten und um etwas herumreden zu müssen, das schon längst tot war.
»Ich glaube, daß man allen nur dieselbe Nachricht zukommen läßt«, sagte Cadfael, »nämlich, daß sie kommen und Anspruch auf ihr gestohlenes Eigentum erheben sollen.
Und sie werden kommen. Es ist traurig, daß es Verluste gegeben hat, die niemand ersetzen kann.«
»Ja«, antwortete sie, »das ist sehr traurig. Die Toten können wir ihnen nicht zurückgeben - nur ihr Vieh.«
Als Yves aus seinem langen Schlaf erwachte, war alle Angst um sein Leben und das seiner Schwester von ihm abgefallen - und er war felsenfest davon überzeugt, daß Olivier jedes Wunder vollbringen konnte. Er wusch und kämmte sich, wie es sich an einem solchen Tag des Dankes gehörte und stellte mit überraschter Anerkennung fest, daß Ermina, während er geschlafen hatte, den Riß im Knie seiner Hose geflickt, sein einziges Hemd gewaschen und es am Feuer zum Trocknen aufgehängt hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, daß ihre Worte nicht immer mit ihren Taten übereinstimmten.
Und dann stieg das ungeklärte Problem mit Bruder Elyas wieder in ihm auf. Er hatte es nicht vergessen, sondern nur beiseitegeschoben, solange er um sein Leben hatte fürchten müssen, aber nun nahm es ihn völlig in Anspruch. Es wurde so dringlich und nahm so gewaltige Formen an, daß er es nicht mehr für sich behalten konnte und obwohl Hugh Beringar ein zugänglicher, freundlicher Mann war, vertrat er auch das Gesetz und war dadurch gebunden. Nicht so dagegen Bruder Cadfael - bei ihm würde er Mitgefühl und ein offenes Ohr finden.
Yves hatte gerade seine Mahlzeit beeendet, als Cadfael eintrat. Taktvoll ging Ermina mit ihrer Näharbeit in die große Halle, wo es besseres Licht gab und ließ sie allein.
Yves wußte nicht, wo er anfangen sollte und entschied sich für den direkten Weg: kopfüber tauchte er in die Kälte und den Schrecken seiner Erinnerung ein. »Bruder Cadfael«, stieß er unglücklich hervor, »ich habe Angst um Bruder Elyas. Ich möchte mit Euch darüber sprechen. Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ihr seid der Erste, mit dem ich darüber spreche. Er hat mir etwas gesagt - nein, er hat nicht zu mir gesprochen, er hat nicht mir etwas gesagt, aber ich habe es trotzdem gehört. Ich hatte keine andere Wahl, ich mußte es einfach hören!«
»Du hast noch keine Zeit gehabt, mir zu berichten, was in jener Nacht geschehen ist, als du ihm folgtest«, sagte Cadfael ruhig. »Also erzähle es mir jetzt. Aber erst will ich dir einiges sagen, das du noch nicht weißt - das könnte dir helfen. Ich weiß, wohin er dich geführt hat und ich weiß, daß du ihn in der Hütte zurückgelassen hast, um Hilfe zu suchen und in die Hände der Räuber und Mörder gefallen bist. Hat er dort in der Hütte die Dinge gesagt, die dich so beunruhigen?«
»Er hat im Schlaf gesprochen«, sagte Yves unglücklich. »Es gehört sich nicht zu lauschen, wenn jemand im Schlaf spricht, aber ich konnte nichts dafür. Ich hatte solche Angst um ihn, ich mußte wissen, ob ich ihm irgendwie helfen konnte... Auch vorher schon, als ich an seinem Bett saß... es geschah alles, weil ich von Schwester Hilaria anfing und ihm sagte, daß sie tot sei. Alles andere schien ihn nicht zu berühren, aber als ich ihren Namen nannte... es war schrecklich! Ganz so, als habe er bis dahin gar nicht gewußt, daß sie tot war und doch nahm er die Schuld dafür auf sich. Er rief das Haus an,
Weitere Kostenlose Bücher