Die Jungfrau im Lavendel
Klosterschule zurück will, wird sie ja eine Art Unterstützung dabei brauchen.«
»Die sie von dir bekommt.«
»So ist es.«
»Aha. Sie gefällt dir offenbar?«
»Ja, sie gefällt mir. Und irgendeine große Unsicherheit und Angst steckt in ihr. Ich finde, das darf nicht unausgesprochen bleiben. Und komm mir nicht damit, daß sie ja jetzt eine Mutter hat. Anita ist nicht die Frau, auch heute nicht, dem Mädchen eine Mutter zu sein. Und dieser Danio – also ich bin nicht kleinlich, aber richtig finde ich es nicht.«
»Was findest du nicht richtig?«
»Daß Anita den heiraten will. Er ist mindestens zwanzig Jahre jünger, wenn nicht mehr.«
»So etwas gibt es. Erst recht, wenn eine Frau Geld hat. Ich finde, es geht dich nichts an.«
»Sicher, es geht mich nichts an. Aber Virginia paßt da nicht dazu.«
»Und mein Herr Sohn? Hat der seinen Beruf an den Nagel gehängt?«
»Ganz im Gegenteil. Er bleibt noch ein paar Tage hier. Er will eine Reportage machen über die Auswirkungen der Mairevolte auf die Côte d'Azur.«
»Aha. Da haben sie gerade auf ihn gewartet.«
»Und dann hat er so eine Art Befragung vor. Kreuz und quer durch die Bevölkerung. Ihre Einstellung zu de Gaulle, jetzt und heute.«
»Wann ist er denn auf diese glorreiche Idee gekommen?«
»Heute abend. Als wir gegessen haben, hat er davon gesprochen, ganz begeistert. Ich komme mit dem Flugzeug zurück, von Nizza aus.«
»So. Von Nizza aus. Kann ja gar nicht genug kosten.«
Diesen Einwurf überging Juschi großzügig.
»Ich kann über Zürich fliegen oder über Paris. Mir macht das Spaß, verstehst? Die Autofahrt in Clemens seinem albernen Wagen dauert mir viel zu lang.«
»Na, dann komm«, brummte Ludwig aus München. »Ich will nämlich 'naus ins Revier.«
»Aber das paßt ja wunderbar«, rief Juschi. »Da sind wir schon auf halbem Weg.«
»Halben Weg wohin?«
»Zum Kloster. Da kann ich gleich alles regeln. Außerdem muß die Oberin schließlich erfahren, wie das gegangen ist. Und besser, ich erzähl's ihr, als ich schreib einen Brief.«
»Und warum kann Virginia diesen Brief nicht schreiben? Oder noch besser die Frau Mutter?«
»Geh, die Mutter! Sei doch stad, ich kann das halt besser.«
Virginia wollte nicht zurück ins Kloster, das erfuhr Juschi bei einem Gespräch, das sie am nächsten Tag führten, nachmittags im Garten bei Anita.
»Aber du mußt doch einen Schulabschluß haben.«
»Ich will nicht zurück«, sagte Virginia leise, aber hartnäckig. »Ich glaube auch gar nicht, daß sie mich nehmen würden. Und sie würden mich sehr streng behandeln, und ich müßte ewig beichten und Buße tun. Ich will nicht.«
Das freie Leben, das sie kennengelernt hatte, war der Grund, daß sie vor der Strenge und Ordnung des Klosterlebens zurückschreckte. »Außerdem müßte ich alles erzählen, und das kann ich nicht. Ich will auch nicht. Und die anderen Mädchen wären neugierig und würden auch alles wissen wollen.«
Nicht einmal der Gedanke an Teresa konnte ihr eine Rückkehr in die Schule schmackhaft machen. Teresa würde sowieso alles ganz, ganz genau wissen wollen. Aber auch Teresa durfte nicht alles erfahren. Da war das Geheimnis der Ferme, da war das Geheimnis Dido. Wie sie es versprochen hatte, so würde sie darüber schweigen. Dido war nicht Danios Schwester, und sie ahnte nun, wie Dido zu Danio stand. Oder was einmal zwischen ihnen war. Vieles begriff sie jetzt. Als der andere Mann da war, durfte Danio nicht auf die Ferme kommen. Er kam, als Alain fort war. Und auch da nur, um von Dido zu erfahren, daß sie ihn für immer verlassen wolle. Nach und nach würde Virginia vielleicht alles ein wenig besser verstehen.
Immerhin hatte sie begriffen, daß auch Anita, ihre Mutter, nichts von Dido erfahren durfte.
Dido war ihr Geheimnis.
Mit schwärmerischer Liebe dachte sie an Dido. Eigentlich war sie der erste Mensch in Virginias Leben, den sie liebgewonnen hatte. Sehr seltsam war das. Sie bedeutete ihr mehr als die neue Mutter, mehr als die ferngerückte Teresa.
Und sie dachte leidenschaftlich: Ich möchte Dido wiedersehen. Und Alain auch. Sie sind anders als alle anderen Menschen.
»Warum sagtst du, du kannst nicht alles erzählen. Und du willst es auch nicht beichten?« fragte Juschi eindringlich. »Was haben sie mit dir gemacht, dort, wo du warst?«
Virginia blickte sie ängstlich und gleichzeitig verständnislos an.
»Kannst du es mir auch nicht sagen?«
Virginia schüttelte den Kopf.
»Clemens, vielleicht verschwindest
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