Die Jungfrau im Lavendel
Rechercheur. Und viel hatte ich ja hier nicht zu tun. Bedenken Sie bitte, daß wir Ihretwegen hergekommen sind. Erstens. Und zweitens, um herauszufinden, was aus Virginia geworden ist. Der Gedanke war doch naheliegend, daß Sie Ihre Tochter entführen ließen. Oder, um es weniger dramatisch zu sagen, sie holen ließen, nachdem ihr früherer Mann sich weigerte, eine Verbindung zwischen Ihnen und Virginia herzustellen.«
»Ja, das klingt ganz logisch«, sagte Anita. »Aber ich wußte ja gar nicht, wo Virginia sich befindet. Ich wußte gar nichts. Sie hielt mich für tot. Es wäre auch denkbar gewesen, daß sie nicht mehr am Leben ist. Ferdinand ist tot, aber ich finde, er hat unrecht getan.«
»Nun gut, lassen wir das zunächst. Unrecht an dem Mädchen hat so ziemlich jeder getan, der eigentlich in sein Leben gehört hätte. Ich nehme auch Ferdinands zweite Frau nicht aus. Ein Kind so ganz ohne Liebe, ohne Halt, ohne das geringste bißchen Familie aufwachsen zu lassen, nachdem ja Angehörige da waren, ist in meinen Augen ein großes Unrecht.«
»Die Gräfin Maray war eine eiskalte, hochnäsige Person«, sagte Anita. »Sie konnte mich nie ausstehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Kind von ihr viel Liebe bekommen hat.«
»Wir schweifen ab«, kam Clemens zu dem Thema zurück, das ihn interessierte. »Wir sprachen von Carone.«
»Sie wollen andeuten, ich hätte Danio beauftragt, Virginia zu holen, wie Sie es nannten. Ich schwöre Ihnen, ich wußte bis zu unserem Gespräch nicht, wo Virginia steckt.«
»Carone kann das Mädchen auf eigene Faust geholt haben.«
»Und warum sollte Monsieur Carone so etwas tun? Um Lösegeld von mir zu erpressen? Ich bitte Sie«, sie lachte kurz auf, ihre Stimme klang amüsiert. »Monsieur Carone kann von mir haben, was er will. Außerdem haben wir die Absicht zu heiraten. Und woher sollte er gewußt haben, wo Virginia sich aufhält?«
Schweigen entstand um den Tisch. Der Lösung des Rätsels waren sie nicht nähergekommen.
Wir machen uns bloß lächerlich, dachte Clemens. Vermutlich ist die Kleine wirklich nur mit einem Kerl abgehauen und würde sich totlachen, wenn sie uns zuhören könnte.
»Es gibt natürlich eine Möglichkeit, jeden Zweifel zu beseitigen«, sagte er. »Diese Mädchen da im Kloster, die Zwillinge, haben den Italiener gesehen, mit dem Virginia vermutlich – vermutlich! – fortgefahren ist, entführt oder nicht. Man könnte eine Gegenüberstellung veranlassen.«
»Eine großartige Idee«, sagte Anita. »Fahren Sie hin und holen Sie die beiden Mädchen aus dem Kloster.«
»Und wenn ich die Mädchen hierherbringe, was würde es nützen? Monsieur Carone ist nicht da, wie ich sehe.«
»Doch«, sagte Anita, sie lächelte, stand auf, wies mit einer graziösen Geste zur Tür. »Ich höre seine Stimme. Er kommt soeben.«
Die Tür ging auf, herein kam Danio, und an der Hand führte er ein junges Mädchen in einem bunten Rock, in einer weißen Bluse, die nicht mehr ganz sauber war, ebensowenig die Füße in den offenen Sandalen. Das blonde Haar war verwirrt und strähnig, das Gesicht vollkommen ungeschminkt, zeigte aber eine gesunde Bräune. Sie sah aus wie ein Mädchen vom Land.
»Ecco!« sagte Danio und breitete mit großer Geste beide Arme aus.
»Anita! Amore mio, hier bringe ich dir deine Tochter. Der Madonna sei Dank, daß diese Stunde endlich gekommen ist.«
Wie ein Schauspieler, der eine große Szene abgeliefert hat, stand er da, schön wie ein junger Gott, die Hände immer noch erhoben, segnend, bittend, dankend, wie man es betrachten wollte.
Anita stand wie versteinert. Clemens war aufgesprungen, auch Juschi stand auf. Hinter Virginia im Türrahmen erschien das fassungslose Gesicht von Rose.
Der Katze auf Virginias Arm wurde es zuviel, ewig herumgetragen zu werden. Sie befreite sich mit einem Ruck und sprang in großem Bogen herab und begann mit vorsichtigen Tigerschritten das unbekannte Zimmer zu erforschen.
Das beendete Danios großen Auftritt. Er nahm Virginia bei der Hand und führte sie ins Zimmer.
»Komm, Bambina, begrüß deine Mutter.«
Unwillkürlich fiel Virginias Blick auf Juschi. Sie entsprach dem Typ nach mehr dem, was sie sich unter einer Mutter vorstellte. Plötzlich lachte Anita, sie warf den Kopf zurück und lachte.
»Merde alors, Danio, du Satansbraten, was hast du da wieder angestellt?«
»Oh, bellissima, in was für eine Verlegenheit du mich gebracht hast! Ich wollte sie dir präsentieren, wenn du aus Paris
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