Die Jungfrau im Lavendel
du mal für eine Weile«, sagte Juschi zu ihrem Sohn, der in einer Hollywoodschaukel sacht hin und her schwankte, Zigarette in der Hand, Whiskyglas auf einem Tischchen. »Ich denke, du willst was arbeiten.«
»Juschi, spiel nicht den Inquisitor«, sagte Clemens. »Wenn es Dinge gibt, über die Virginia nicht sprechen will, dann braucht sie auch nicht darüber zu sprechen.«
»Weil man ihr verboten hat, darüber zu sprechen?« Juschi kam der Sache nahe. »Vielleicht weil man Druck auf sie ausübt? Meinst du nicht, daß man ihr da helfen sollte? Und wenn sie so entschieden sagt, sie kann und will nicht in die Klosterschule zurück, was könnte das denn für Gründe haben?«
Clemens grinste. Er gab sich einen letzten Schwung, dann stand er auf und trat vor Virginia, sah mit einem liebevollen Lächeln auf sie herab, sie saß im Gras, die Beine gekreuzt, die Katze im Schoß. Übrigens trug sie wieder ihren geliebten Leinenrock, den Rock von Dido. Nur eine saubere Bluse hatte Rose ihr verpaßt.
»Wollen wir mal Klartext reden, nicht? Was meine Mutter gern wissen möchte, Virginia, ist folgende weltbewegende Tatsache: Hast du an jenem unbekannten Ort, in immerhin mehreren Wochen, deine kostbare Unschuld verloren?«
»Clemens!« rief Juschi empört.
»Ist das der Grund, warum du nicht zu den braven Nonnen zurück willst?«
»Clemens, du bist unverschämt.«
»Aber Juschi! Das meinst du doch.«
Das meinte sie. Auch. Aber Ludwig hatte von Drogen gesprochen. Oder was konnte es sonst noch gewesen sein, was Virginia erlebt und gesehen hatte. Juschi erging sich in wilden Vermutungen. Virginia war rot geworden, jetzt blickte sie zu Clemens auf, der in voller Größe vor ihr stand. Er lächelte. Sie hatte Zutrauen zu ihm.
»Nein, so etwas ist nicht geschehen«, sagte sie. »Es gibt keinen Grund, daß ich nicht ins Kloster zurück könnte. Ich will nur nicht. Niemand hat mir etwas getan. Ich habe Güte und Liebe erfahren. Die nur mir, mir allein galt. Von ganz fremden Menschen, die ich nichts anging.« Jetzt traten Tränen in ihre Augen. »Und das war das erstemal in meinem Leben, daß mir so etwas geschehen ist. Ja, es war auch ein Mann da. Er hat mich geküßt. Einmal. Ein einziges Mal. Sonst war nichts. Und es ist mir egal, ob ihr mir das glaubt oder nicht.«
Sie sprach nun laut und heftig.
Juschi schwieg beschämt, Clemens reichte Virginia die Hand, und als sie sie ergriff, zog er sie hoch. Die Katze hatte schon das Weite gesucht, als Virginias Stimme lauter wurde.
»Wir glauben dir«, sagte Clemens ruhig. »Wie jeder Mensch hast du das Recht, über Dinge zu schweigen, über die du schweigen willst. Ich war zwar nicht dabei in Paris bei der Schlacht im Mai, aber das wäre eine Sache, für die ich auf die Barrikaden klettern würde: das Recht eines jeden Menschen auf seine eigene Meinung, auf sein eigenes Ja oder Nein zu was auch immer, das Recht zu reden und das Recht zu schweigen.«
Sie standen dicht voreinander, sie sah ihn eigentlich zum erstenmal richtig an, er sah das Vertrauen in ihrem Blick.
»Ein Kuß, Virginia? War er wenigstens schön?«
Sie nickte. Über Danios Kuß sprach sie nicht. Das war etwas anderes gewesen. Nicht schön. Nicht gut und zärtlich, wie Alains Kuß. Vor diesem Kuß fürchtete sie sich noch immer.
»So weit, so gut«, sprach Clemens weiter. »Sprechen wir nun vernünftig. Du willst nicht zurück in die Klosterschule, und du hast deine Gründe dafür, die man respektieren sollte. Aufklären muß man sie natürlich dort, das ist klar. Fragt sich, wie es mit dir weitergehen soll. Du kannst hier bei deiner Mutter bleiben, es ist ja ein fabelhaftes Luxusleben, das sie dir bieten kann – übrigens, wo ist sie eigentlich?«
»Beim Friseur«, murmelte Virginia.
»Auch gut«, fuhr Clemens fort. »Ich hatte an ihrer Frisur zwar gestern nichts auszusetzen, aber das muß sie besser wissen. Du kannst also hierbleiben, und es ginge dir nicht schlecht. Sie wird diesen Danio heiraten, hat sie gesagt. Das ist ihre Sache. Deine Sache ist es, zu entscheiden, ob du zum Beispiel weiter in die Schule gehen willst. Da war irgendwann von der Akademie die Rede. Dazu brauchst du einen Abschluß. Malen kannst du sicher auch hier lernen, es wimmelt nur so von Künstlern an der Côte. Falls es dir ernst ist, mit einem Beruf, meine ich. Eine Tochter aus reichem Haus kann auch ohne Beruf leben.«
Virginia schüttelte den Kopf. »Ich möchte gern etwas lernen. Ich war gut in der Schule. Und ich glaube nicht,
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