Die Jungfrau im Lavendel
dann wohl geerbt.«
Und am Ende: »Gott, der arme Ferdinand! Wie schrecklich!« Sie langte nach einem petit four, teilte es mit der Kuchengabel in drei Teile und aß es mit Genuß.
Juschi und Clemens tauschten einen Blick.
Clemens nahm sich nun auch ein Gebäck, mehr um sich zu beschäftigen, dann sagte er sachlich: »Ich denke, Sie haben jetzt einen genauen Überblick gewonnen, was sich in den letzten sechs Wochen ereignet hat. Was ist Ihre Meinung dazu?«
»Sie erwarten, daß ich eine Meinung dazu haben soll?« sagte Anita und erwiderte kühl seinen Blick. »Wie kann ich das denn? Gut, ich habe Ferdinand verlassen und mich um das Kind nie gekümmert. Sicher werden Sie mir das zum Vorwurf machen. Ich widerspreche auch nicht. Erstmals im vergangenen Jahr, dann in diesem Jahr habe ich versucht, Kontakt zu Ferdinand zu bekommen. Ich gebe zu, ich habe mich nicht besonders angestrengt. Ich wußte, daß er wieder verheiratet ist, ich wußte, wo er lebt, das war Detektivarbeit. Und ich hatte den Wunsch, endlich meine Tochter kennenzulernen. Wenn Sie finden«, sie zuckte hochmütig die Achseln, »daß mir das reichlich spät eingefallen ist, nun gut, diesen Vorwurf muß ich hinnehmen. Nun ist sie mir zuvorgekommen und hat sich offensichtlich für ein freies Leben entschieden. Sie hat einen Freund und ist mit dem auf und davon. So etwas gibt es ja. Wie Sie selbst sagen, ist sie ohne Liebe aufgewachsen. Ferdinand hat sich kaum um sie gekümmert. Ihre Mutter war angeblich tot. Wer kann sie dafür tadeln, daß sie Liebe da nahm, wo sie ihr geboten wurde?«
»Es war ein Italiener, mit dem sie auf und davon ist, wie Sie es nannten, Madame«, sagte Clemens.
»Das vermuten die beiden Mädchen da im Kloster, die ihn kurz gesehen haben. Und wenn auch! Italiener können sehr gute Liebhaber sein.«
Juschi schob mit einem Klirren ihre Tasse zurück.
»Ich glaube, Anita, Sie verstehen gar nicht, worum es hier geht. Virginia ist entführt worden.«
»Davon war bis jetzt nicht die Rede. Kein Mensch hat irgendeine Gewaltanwendung beobachtet. Warum denn so dramatische Gedanken? Warum kann es nicht einfach eine Liebesaffäre sein? Bei einer Entführung steckt doch meist ein Zweck dahinter, nicht wahr? Es geht um Geld. Der Entführer meldet sich mit seinen Ansprüchen.«
»Geld verlangen könnte er nur von Ihnen«, sagte Clemens. »Und Sie waren wochenlang nicht aufzufinden.«
Anita wurde auf einmal ernst. Keine Falte erschien auf ihrer glatten Stirn, doch sie hob die Hand in einer abwehrenden Geste.
»Sie meinen … Sie meinen, es könnte jemand Lösegeld von mir verlangen? Weil er meine Tochter entführt hat?«
»Das wäre eine denkbare Möglichkeit.«
»Aber ich bitte Sie, wer auf der weiten Welt wußte denn, daß Virginia meine Tochter ist? Sie sagen selbst, Ferdinand hatte mich für tot erklärt. Wie sollte irgendein Italiener auf die Idee kommen, Virginia hätte eine Mutter, die in der Lage ist, Geld für diese Tochter zu bezahlen? Wenn er wirklich wußte, daß ich die Mutter bin, dann wußte er auch, daß ich mich nie um dieses Kind gekümmert habe. Warum sollte ich auf einmal Geld dafür bezahlen?«
»Es klingt schrecklich, wie Sie das sagen, Anita«, sagte Juschi leise.
»Bitte, lassen Sie uns nicht sentimental sein. Wir sprechen jetzt ganz sachlich über die Möglichkeiten. Natürlich würde ich Geld für Virginia bezahlt haben, wenn es jemand von mir verlangt hätte. Und so aus der Welt war ich ja nicht. Ich befand mich in Paris. Mein Personal hier kannte meine Adresse. Ein Brief an mich war immer weiterzuleiten.«
»Sie sprachen von irgendeinem Italiener, Madame«, sagte Clemens. »Ich denke an einen ganz bestimmten.«
»So?« machte Anita hochmütig, denn sie wußte, was nun kam.
»Sie selbst, Madame, sind doch mit einem Italiener gut befreundet.«
»Ich bin mit einigen Leuten befreundet, mit Engländern, Amerikanern, auch Italiener sind dabei, es sind die verschiedensten Völker vertreten in dieser Gegend.«
»Ich spreche von Danio Carone«, sagte Clemens knallhart. »Wo ist er eigentlich? Ich dachte, wir würden ihn heute hier sehen.«
»Finden Sie nicht, daß Sie ein wenig zu weit gehen, Herr Landau? Woher kennen Sie Monsieur Carone?«
»Ich kenne ihn nicht. Ich habe nur das eine oder andere über ihn gehört. Es ist doch wohl eine Tatsache, daß er – eh, mit Ihnen zusammenlebt.«
»Sie haben also herumspioniert«, sagte Anita und lächelte spöttisch.
»Ich bin Journalist, Madame, und ein guter
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