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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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diese Geschichten bereits, aber sie klangen immer lustig und immer anders. »Was ist mit Ethels geistig zurückgebliebenem Sohn?« fragte Brigance.
    »Begegnen Sie meinem Bruder mit etwas mehr Respekt«, erwiderte Lucien. »Er ist der Klügste in unserer Familie. Nun, es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sich um meinen Bruder handelt. Dad stellte Ethel ein, als sie siebzehn war, und ob Sie's glauben oder nicht: Damals sah sie verdammt gut aus. Ethel Twitty galt als die heißeste Puppe in ganz Ford County. Mein Vater konnte nicht die Finger von ihr lassen. Mir wird schlecht, wenn ich heute darüber nachdenke, aber es stimmt.«
    »Abscheulich«, kommentierte Jake.
    »Sie hatte einen Haufen Kinder, und zwei von ihnen ähnelten mir sehr, insbesondere der Idiot. Damals war das eine ziemlich peinliche Angelegenheit.«
    »Und Ihre Mutter?« erkundigte sich Harry Rex.
    »Eine jener würdevollen Südstaaten-Damen, deren Hauptanliegen es war festzustellen, wer adliger Abstammung ist und wer nicht. Nun, hier in unserer Gegend gibt es nicht viel blaues Blut, und deshalb verbrachte sie den größten Teil ihrer Zeit in Memphis; sie versuchte dort, die großen Baumwollfamilien zu beeindrucken und von ihnen akzeptiert zu werden. Mein Zuhause war damals das Peabody Hotel. Mom putzte mich heraus und band mir rote Fliegen um. Ich gab mir alle Mühe, mein Verhalten dem arroganten, eingebildeten Getue der reichen Memphis-Kinder anzupassen; dabei haßte ich sie, und auch an meiner Mutter lag mir nicht besonders viel. Sie wußte von Ethel, fand sich jedoch damit ab und beschränkte sich darauf, den alten Herrn zu bitten, diskret zu sein und die Familie nicht in Verlegenheit zu bringen. Nun, er war diskret, und ich bekam einen geistig zurückgebliebenen Halbbruder.«
    »Wann starb sie?«
    »Sechs Monate vor dem Flugzeugabsturz, bei dem mein Vater ums Leben kam.«
    »Und die Todesursache?«
    »Gonorrhöe. Sie holte sich die Krankheit bei einem Stalljungen.«
    »Lucien! Ist das Ihr Ernst?«
    »Und ob. Drei Jahre lang litt sie daran, aber sie blieb würdevoll bis zum bitteren Ende.«
    »Wann gerieten Sie auf Abwege?« fragte Jake.
    »Ich glaube, es begann schon in der ersten Klasse. Meinem Onkel gehörten die großen Plantagen südlich der Stadt, und viele schwarze Familien waren von ihm abhängig. Wir steckten damals mitten in der Weltwirtschaftskrise. Ich wuchs praktisch auf dem Land auf – mein Vater arbeitete hier in diesem Büro, und meine Mutter trank dauernd Tee mit den anderen Damen. Meine Spielkameraden waren Schwarze. Schwarze Diener zogen mich groß. Mein bester Freund hieß Willie Ray Wilbanks. Das ist kein Scherz. Mein Urgroßvater kaufte seinen Urgroßvater. Und als die Sklaven zu freien Bürgern wurden, behielten die meisten von ihnen ihren Familiennamen. Warum auch nicht? Deshalb haben wir hier so viele schwarze Wilbanks. Uns gehörten alle Sklaven in Ford County, und ihre Nachkommen tragen den gleichen Namen wie ich.«
    »Wahrscheinlich sind Sie mit einigen von ihnen verwandt«, warf Jake ein.
    »Angesichts der Neigungen meiner Vorfahren nehme ich an, daß ich mit ihnen allen verwandt bin.«
    Das Telefon klingelte. Die drei Männer erstarrten und blickten zum Apparat. Jake setzte sich auf und hielt den Atem an. Harry Rex nahm ab, lauschte und legte wieder auf. »Jemand hat die falsche Nummer gewählt«, sagte er.
    Sie sahen sich an und lächelten.
    »Sie sprachen eben über die erste Schulklasse«, erinnerte Jake seinen früheren Chef.
    »Ja. Am ersten Schultag kletterten Willie Ray und meine übrigen Freunde in den Bus, der zur schwarzen Schule fuhr. Ich stieg ebenfalls ein. Der Fahrer griff sanft nach meiner Hand und führte mich wieder nach draußen. Ich schrie und weinte; der Onkel brachte mich nach Hause und erstattete meiner Mutter Bericht. ›Lucien wollte sich vom Nigger-Bus zur Schule fahren lassen.‹ Mom war entsetzt und haute mir den Hintern windelweich. Dad verpaßte mir ebenfalls eine Abreibung, aber Jahre später gestand er ein, daß er jenen Zwischenfall recht komisch gefunden habe. Nun, ich besuchte also die weiße Schule, und dort war ich immer der kleine reiche Junge. Alle haßten den kleinen reichen Jungen, insbesondere in einer armen Stadt wie Clanton. Zugegeben, ich bin damals nicht sehr liebenswert gewesen, aber die übrigen Schüler lehnten mich nur deshalb ab, weil meine Familie in Dollars schwamm. Deshalb habe ich mir auch nie viel aus Geld gemacht. Damals, in der ersten Klasse, begann ich

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