Die Jury
Journalisten stürmten Carl Lee entgegen. »Ich möchte nur nach Hause«, sagte er immer wieder. »Ich möchte nur nach Hause.«
Vor dem Gerichtsgebäude fand ein ausgelassenes Fest statt. Schwarze tanzten, sangen, weinten, klopften sich auf Schultern und Rücken, priesen den Herrn, lachten und stimmten neue Sprechchöre an. In respektlosem Jubel lobten sie den Allmächtigen, schoben sich der Treppe entgegen und warteten darauf, daß ihr Held nach draußen käme und sich verehren ließe.
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Dreißig Minuten lang riefen sie »Wir wollen Carl Lee! Wir wollen Carl Lee!«, und schließlich erschien der Freigesprochene in der Tür. Ohrenbetäubendes, die Mauern des Gerichtsgebäudes erschütterndes Gebrüll begrüßte ihn. Zusammen mit seinem Anwalt und der Familie bahnte er sich einen Weg durch die Menge und stieg die Stufen zum Podium hoch, wo man eine Unzahl von Mikrofonen installiert hatte. Jubel aus zwanzigtausend Kehlen zerriß ihm fast die Trommelfelle. Einmal mehr umarmte er Jake, und sie winkten gemeinsam.
Die Fragen der vielen Journalisten blieben völlig unverständlich. Gelegentlich ließ der Anwalt die Hände sinken und rief etwas über eine Pressekonferenz, die um zwei in seinem Büro stattfinden würde.
Carl Lee drückte Frau und Kinder an sich und winkte auch weiterhin. Die Schwarzen auf dem Platz applaudierten begeistert. Jake schlich ins Gericht zurück, wo er Lucien und Harry Rex in einer Ecke fand, abseits des Trubels. »Verschwinden wir von hier«, schlug Brigance vor. Erneut stürzten sie sich in das Durcheinander und erreichten schließlich die Hintertür. Vor seinem Büro bemerkte Jake Dutzende von wartenden Reportern.
»Wo steht Ihr Wagen?« fragte er Lucien. Wilbanks deutete zu einer Nebenstraße unweit des Cafés, und die drei Männer hasteten möglichst unauffällig am Rand des Platzes entlang.
Sallie briet Koteletts und grüne Tomaten; sie servierte das Essen auf der Veranda. Lucien holte teuren Champagner und behauptete, die Flasche für eine solche Gelegenheit aufbewahrt zu haben. Harry Rex aß mit den Fingern und nagte die Knochen so gierig ab, als hätte er seit Wochen gefastet. Jake schluckte den einen oder anderen Bissen und trank eisgekühlten Champagner. Nach zwei Gläsern starrte er in die Ferne und lächelte verträumt. Er genoß den Augenblick.
»Sie grinsen wie ein Narr«, sagte Harry Rex mit vollem Mund.
»Seien Sie still«, erwiderte Lucien. »Er hat es verdient, sich zu freuen.«
»Und wie er sich freut. Sehen Sie nur, wie er lächelt.«
»Was soll ich der Presse mitteilen?« fragte Jake.
»Sagen Sie einfach, daß Sie neue Klienten brauchen«, meinte Harry Rex.
»Klienten sind von jetzt an kein Problem mehr«, entgegnete Lucien. »Sie werden vor seiner Tür Schlange stehen.«
»Warum haben Sie nicht mit den Journalisten im Gerichtssaal gesprochen?« erkundigte sich Harry Rex. »Ihre Kameras und Kassettenrecorder liefen bereits. Ich wollte mit ihnen reden, aber...«
»Glücklicherweise bekamen Sie keine Gelegenheit dazu«, brummte Lucien.
»Die Reporter fressen mir jetzt aus der Hand«, sagte Jake.
»Sie gehen bestimmt nicht fort. Wir könnten Eintrittskarten für die Pressekonferenz verkaufen und ein Vermögen damit verdienen.«
»Bitte lassen Sie mich dabei zusehen, Jake, bitte«, flehte Harry Rex.
44
S ie stritten sich darüber, ob sie den alten Bronco oder den verbeulten Porsche nehmen sollten. Jake lehnte es ab, sich ans Steuer zu setzen. Harry Rex fluchte am lautesten, und schließlich kletterten sie in seinen Wagen. Lucien zwängte sich in den Fond, Brigance ließ sich auf den Beifahrersitz sinken und gab Anweisungen. Sie fuhren über Nebenstraßen, um dem Verkehr vor dem Gerichtsgebäude auszuweichen. Auf dem Highway gab es lange Staus, und Jake dirigierte den Chauffeur über zahllose Kieswege. Irgendwann kehrten sie auf asphaltierte Straßen zurück, und Harry Rex gab Gas. Ihr Ziel: der See.
»Ich möchte Sie etwas fragen, Lucien«, sagte Jake.
»Was denn?«
»Und ich verlange eine ehrliche Antwort.«
»Worum geht's?«
»Hat Sisco Geld von Ihnen bekommen?«
»Nein, mein Junge. Sie haben den Prozeß ganz allein gewonnen.«
»Schwören Sie?«
»Ich schwöre bei Gott und auf einen ganzen Stapel Bibeln.«
Jake wollte ihm glauben und begnügte sich mit dieser Auskunft. Sie setzten die Fahrt schweigend fort, schwitzten in der Hitze und hörten zu, als Harry Rex die Lautstärke der Stereoanlage aufdrehte
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