Die Kälte in dir (German Edition)
schon beinahe ein Jahr her, dass sie ihn verlassen hat.«
Kristina hätte so höflich sein sollen, die Frau in ihr Büro zu bitten, aber sie brauchte im Moment all ihre Kraft, um die Dämonen fernzuhalten, die mit frostigen Fingern nach ihrem Herz griffen.
Er hatte nie darüber gesprochen. Trug nach wie vor seinen Ehering. Aber wie viele ihrer Kollegen wussten, dass auch Kristina wieder allein war? Lediglich Sampo, fiel ihr ein. Dem hatte sie ihre Trennung gezwungenermaßen anvertraut, weil er sich einmal nach Kai erkundigt hatte.
Auch Finckhs Frau war gegangen, ohne dass der kauzige Beamte je darüber gesprochen hatte. Und nun war auch er verschwunden. Tausend Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Sie musste an seinen dicken Bauch denken … Daran, was Daniel erwähnt hatte …
Er beobachtet uns. Und er schlägt zu. Direkt vor unserer Nase.
Polizeiobermeister Werner Finckh passte ins Opferprofil.
11
Sie standen vor dem Haus in der Wasserstubensiedlung. Das letzte in der Straße, Fünfzigerjahre-Klinkerbau. Ein quadratischer Grundriss mit einem ordentlichen Stück Grün drum herum. Der Garten war verwildert. Die Hecke wuchs ungezügelt über das Tor hinweg und machte den Zugang schmal.
Niemand reagierte auf ihr Klingeln, weshalb Kristina ums Haus ging. Daniel folgte ihr über den verdorrten Rasen. Er war überrascht gewesen, wie schnell sie ihn wieder gerufen hatte. Der Cappuccino war noch nicht serviert gewesen, da hatte das Handy schon vibriert.
Kristina war erschreckend blass.
Ein weiterer Mord?
Aber warum rückten sie dann allein aus?
Auch vor dem Haus gab es kein Anzeichen darauf, dass schon Kollegen vor Ort waren. Der Täter konnte es auch nicht sein, denn in diesem Fall hätte ein Sondereinsatzkommando den Zugriff übernommen. Weder auf dem Briefkasten am Gartentor noch über dem Klingelknopf hatte er einen Namen gesehen. Die Leute, die hier lebten, kannten sich. Ein gemächlicher Ortsteil unterhalb des Bahndamms, mit einer Zeile Schrebergärten dazwischen. Daniel konnte sich nicht vorstellen, wer hier wohnte, und er wagte nicht zu fragen. So angespannt hatte Kristina nicht einmal an dem reuigen Morgen nach ihrer gemeinsamen Nacht ausgesehen.
Die Sonne stand im Zenit. Die Straße war ausgestorben, alle Welt im Urlaub. Es war unheimlich. Über dem Komposthaufen surrten die Fliegen. Fünf Meter links davon rostete ein Kugelgrill vor sich hin. Jenseits der Hecke wuchsen Apfelbäume auf vertrockneten Streuobstwiesen. Die Stille wurde durch das Rattern eines nahenden Güterzugs durchschnitten.
Kristina stellte sich vor die Terrassentür, legte die Hände ans Glas und schirmte damit ihre Augen gegen die Helligkeit ab.
»Erkennst du was?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erhalten. »Wen suchen wir hier?«, versuchte er es aufs Neue.
Sie drehte sich nach ihm um. Blickte durch ihn hindurch. Sie war wie in einem Tunnel, er war für sie nicht existent. In einer fließenden Bewegung packte sie einen der Metallstühle, die auf der Terrasse um einen verdreckten Gartentisch drapiert waren, und schleuderte ihn gegen die Glasscheibe. Die Scheibe in der Terrassentür knackte, hielt aber stand.
»Bist du irre!«, fuhr er sie an und streckte die Hand nach ihr aus.
Der Güterzug donnerte jetzt direkt am Haus vorbei.
Daniel packte Kristina am Arm, aber sie riss sich los und holte erneut aus. Das Glas splitterte. Eines der Stuhlbeine steckte darin fest. Daniel fuhr sich fassungslos durchs Haar, während Kristina nach dem Gartenstuhl trat und die Scheibe damit vollends ins Wohnzimmer rammte. Tausende Glassplitter rieselten auf den abgetretenen Perserteppich. Das Schlagen der rotbraunen Waggons verschluckte das Geräusch.
Kristina zog ihre Pistole und stieg durch den nun leeren Türrahmen. Der Zug war nur noch ein sich entfernendes, immer leiser werdendes Rauschen. Es kam ihm vor, als könnte man das Knirschen der Glasscherben unter ihren Sohlen bis runter in die Altstadt hören. Daniel blickte sich um. Fenster und Türen der Nachbarn blieben geschlossen. Er folgte Kristina ins Haus.
Die Luft war stickig und roch abgestanden. Der wuchtige Wohnzimmerschrank aus rustikaler Eiche sah aus wie der seiner Oma, hatte jedoch schon lange kein Staubtuch mehr gesehen. Das Fernsehgerät leuchtete auf Stand-by. Die Couch war durchgesessen. Eine fusselige Wolldecke hing zusammengeknüllt über den verblichenen Kissen. Auf dem Tisch davor lag die Fernbedienung zwischen vier leeren Bierflaschen und einem Teller mit eingetrockneten
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