Die Kälte in dir (German Edition)
hatte, wurde ihm schlecht. Um herauszufinden, was dahintersteckte, blieben ihm zwei Optionen. Er konnte sich widerrechtlich die Ermittlungsakten ansehen. Ein Unterfangen, das einem Ritt auf der Rasierklinge gleichkam, da er Linnemann keine plausible Erklärung liefern konnte, sollte er erwischt werden. Oder er befragte jemanden, dem er für den Rest seines Lebens eigentlich nicht mehr über den Weg laufen wollte.
War es das wert? Es fehlte jegliche Garantie, dass er Kristina damit würde weiterhelfen können. Sie setzte ohnehin alles auf diese eine Karte und unter Umständen nur deshalb, weil sie Decher beweisen wollte, dass sie besser war. Nur – was, wenn sie sich irrte?
Mit verführerischer Stimme säuselte ihm die Resignation ins Ohr, er solle doch besser heimgehen und die Beine hochlegen. Letztlich war er nur der Wasserträger, der nichts von dem Ruhm erhielt, wenn Kristina den Kampf trotz allem noch gewinnen sollte.
Aber er konnte nichts dagegen tun, dass sich das Bild des Toten in sein Gedächtnis gegraben hatte, und dieser Anblick würde ihn verfolgen, wenn er in seiner Bude an die Decke starrte.
Inzwischen fühlte er sich Kristina verpflichtet. Finckhs Tod hatte sie aus der Bahn geworfen, das hatte er ihr angesehen. Er wollte ihr helfen. Deshalb war er doch auch an diesen Ort zurückgekehrt. Um Gewissheit zu erlangen und Verbindungen zu den Morden im Remstal zu knüpfen, sollte es diese geben.
Während ein warmer Wind über ihn hinweg durch die vereinsamte Straße im Stuttgarter Westen strich, stellte sich mit einem Mal die Erkenntnis ein, was zu tun war.
Mit schnellen Schritten eilte Daniel über die Straße und betrat erneut das Labor. Wie beim letzten Besuch empfing ihn die Laborassistentin in der Schleuse vom Zugang zum eigentlichen Forschungsraum. Diesmal ohne ihre riesige Schutzbrille.
»Du schon wieder! Hannes ist immer noch nicht aufgetaucht, nicht mal angerufen hat er.«
»Bereitet dir das keine Sorgen?«
Sie nickte zögerlich. »Er ist zwar alt genug, trotzdem ist es ungewöhnlich, dass er sich gar nicht meldet.«
Daniel betrachtete über ihre Stachelfrisur hinweg das Laboratorium durch die Glasscheibe in der Tür. »Kannst du mir sagen, ob irgendein Gerät fehlt?«
Franka rümpfte die Nase. »Um diese bescheuerte Frage zu stellen, tauchst du extra noch mal auf? Was sollte denn fehlen?«
»Etwas, das Hannes mitgenommen hat, um damit …«
Ja, was konnte der Biologe vorhaben?
Franka sah ihn herausfordernd an.
»Arbeitet ihr mit menschlichem Fettgewebe?«
»Du bist ein komischer Bulle und stellst noch seltsamere Fragen als deine Kollegin«, warf sie ihm vor.
Sie hatte natürlich recht. Es musste alles ziemlich verquer klingen, was er da von sich gab. Er hatte Miriam Wuppermanns Ausführungen und auch die von Dr. Lorenz im Kopf, wusste aber nicht, wie und wo er ansetzen sollte.
»Was braucht man, um menschliche Fettzellen brauchbar wiederzuverwerten?«, versuchte er es anders.
»Du meinst für Eigenfettinjektionen oder so?«
Er nickte. Das hörte sich plausibel an.
»Nicht mein Spezialgebiet, aber ich gehe davon aus, dass man zumindest eine Zentrifuge benötigt …« Sie hielt inne und zwirbelte an einer Haarsträhne. »Da fällt mir ein, dass Hannes neulich ein solches Gerät ausgemustert hat, obwohl es an sich noch funktioniert hat.«
Daniel verabschiedete sich.
In seinem Kopf rotierten die Gedanken. Nicht nur Achterberg war verschwunden, sondern auch eine Zentrifuge. Aber half ihm das weiter?
Nicht bei dem, was er nun vorhatte.
Daniel entsann sich der eisigen Temperaturen des zurückliegenden Winters, als er diesen Ort das letzte Mal betreten hatte. Kaum zu glauben, dass seitdem ein halbes Jahr verstrichen war. Ein halbes Jahr, in dem der Schmerz kaum nachgelassen hatte. Trotzdem war er hier.
Außer ihm wusste niemand darüber Bescheid, wer Hannes Achterberg noch im Visier hatte. Das machte seinen Alleingang waghalsig.
Der Kellner tat so, als würde er Daniel nicht kennen. Dabei war offensichtlich, dass der schmalbrüstige Russe genau wusste, wen er bediente. Daniel hockte sogar auf seinem Stammplatz. An diesem einen Tisch, an dem sie immer gesessen hatten. Auf diesem gemütlichen Sofa mit dem weichen Lederkissen, von dem aus man das Treiben im Café so gut überblicken konnte. Lediglich zwei weitere Tische waren besetzt, weil draußen, unter den weißen, ausladenden Sonnenschirmen, nichts mehr frei war.
Der Platz neben ihm war verwaist, und das war vielleicht das
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