Die Känguru Chroniken
fragt einfach den Nächsten in der Schlange: »Was darf’s bei Ihnen sein?«
»Ich hätte gerne ein Whopper-Menü«, sage ich.
Der Junge drückt den Knopf. Sofort stürmen zwei Männer auf uns zu. Sie sind kaum fähig, sich zu artikulieren, aber sie wurden in schicke Uniformen gesteckt, auf denen die Insignie der Wichtigkeit prangt: »Security!«
Das Känguru schreit: »Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot!«
Gleich darauf werden wir brutal zur Tür hinaus gedrängt. Aber als der Junge hinterm Tresen schon erleichtert aufatmet und den Spuk für beendet glaubt, quetscht das Känguru noch einmal seinen Kopf durch die Tür und schreit: »Das werdet ihr noch bereuen, Yankees! Remember Saigon!«
Wutentbrannt hüpft es hinfort. Ich folge.
»Was hast’n jetzt vor?«, frage ich.
»Dann gehen wir eben zu Burger King …«, sagt es, und seine Augen verengen sich zu wild entschlossenen Schlitzen, »… und bestellen uns einen Big Mac!«
Vive la résistance!
Wir rennen orientierungslos durch die Straßen. Um uns herrscht das Inferno. Bürgerkrieg. Bei jeder Explosion schreckt das Känguru zusammen und kurz flackert der Wahnsinn in seinen Augen. Silvester in Berlin … Und es soll Leute geben, die fahren über den Jahreswechsel extra hierher. In Urlaub. Da passiert es. Ein kleiner, dicklicher Halbstarker mit Oberlippenflaum wirft gezielt seinen Schwarzmarkt-Böller nach uns. Blitzschnell reagiert das Känguru. Indem es seinen langen Schwanz wie einen Baseballschläger schwingt, schleudert es die Granate in die Richtung, aus der sie kam, zurück. Der Böller explodiert neben dem Ohr des Werfers, und dieser, von der Explosion taub und verwirrt, bekommt gar nicht mit, wie schnell ihm das Känguru einen rechten Aufwärtshaken verpasst und ihm beide Arme ausrenkt.
»Alter!«, sage ich. »Das war doch nur ein Junge mit einem Silvesterknaller.«
»Wer Krieg spielen will«, sagt das Känguru, »muss auch bereit sein, leiden zu lernen.«
Eine Sekunde ist es völlig still in der Straße.
Dann formiert sich der Gegenangriff. Von allen Seiten werden wir bombardiert. Ein brennender Vulkan landet direkt vor meinen Füßen. Ich mache zwei Schritte nach vorne und rutsche auf den glitschigen Überresten eines anderen Böllers aus. Das Känguru sieht mich fallen und ein Schrei dringt ausseiner Kehle. Es ist dieser markerschütternde Urlaut des universalen Nicht-Einverständnisses mit der Welt: »Neeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiii iinnnnnnnnnnnnnnnn!«
Das Känguru packt mich über seine Schulter und springt in atemberaubendem Tempo kreuz und quer durch die Straßen.
»Du«, sage ich, »mir geht’s gut. Ich kann laufen …«
»Keine Angst«, keucht das Känguru. »Ich lass dich nicht zurück.«
»Mir ist nichts passiert«, sage ich. »Ich kann …«
»Sei still«, sagt das Känguru. »Schone deine Kräfte, Kamerad.«
Plötzlich stehen wir mitten vor dem Brandenburger Tor. Das Känguru drängt sich ohne Rücksicht durch die Menschenmenge und schlägt alle zwei Meter einen Besoffenen, der nicht rechtzeitig das Feld räumt, zu Boden.
»Lass mich runter!«, schreie ich. »Ich mein’s ernst!«
»Ich habe noch nie einen verwundeten Genossen zurückgelassen«, schreit das Känguru.
Mehrmals sehe ich, wie Leute, nachdem wir an ihnen vorbeigehüpft sind, ungläubig auf das Getränk in ihrer Hand blicken. Sie suchen wohl auf den Flaschen einen Warnhinweis, der ihre Welt wieder einrenkt: »Achtung: Kann Visionen von Kamikaze-Kängurus verursachen.«
»Der Dschungel ist unser stärkster Verbündeter«, schreit das Känguru und schlägt sich in die Büsche des Tiergartens. Ich bin klatschnass. Schon vor einiger Zeit muss es begonnen haben in Strömen zu regnen. Endlich lässt mich das Känguru auf einer Lichtung auf den schlammigen Boden sinken. Nur noch gedämpft hören wir den Lärm der Raketen.
Das Känguru wäscht sich sein Gesicht mit Wasser aus einem Rinnsal und gurgelt dabei: »The horror … the horror.«
Manchmal frage ich mich, ob es wirklich im Dschungel war oder ob es nur zu oft beim Kiffen ›Apocalypse Now‹ gekuckt hat.
Aus Opportunismus & Repression
Kapitel 34: »Ein Clause-Witz«
… die erste internationale Abrüstungskonferenz kann in das Jahr 1139 datiert werden, als der Einsatz der Armbrust (gegen Christen) als unritterlich verboten wurde. Der Erfolg der Konferenz war, nun sagen wir: durchschlagend. Nicht mal 900 Jahre später wird die Armbrust kaum noch in Kriegshandlungen (gegen Christen)
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