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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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das Känguru.
    »Schon klar.«
    »Der is nich so alt. Is nur ausm Osten. Ein RFT Colorlux. Das Topmodell damals.«
    »Hat der ’nen Zweitaktmotor drin?«, frage ich.
    »Haha. Warte nur, bis du den in Betrieb gesehen hast«, sagt das Känguru und sucht nach einer freien Steckdose.
    »Wo bist’n über den gestolpert?«
    »Hab ich gerade in Marzahn abgeholt. Top-Zustand. Ist aber gebraucht.«
    »Ach was …«
    »In der Annonce stand: ›Zu verschenken. Wer vor zehn anruft, bekommt ihn garantiert nicht‹.«
    »Sympatisch«, sage ich.
    Das Känguru kriecht unterm Tisch hervor und schaltet das Gerät ein. Es knallt und wir sitzen im Dunkeln.
    »Ich geh dann mal in den Keller und mach die Sicherungen wieder rein«, sagt das Känguru.
    »Okay.«
    Zehn Minuten später kommt es wieder.
    »Ich glaub, im ganzen Viertel ist der Strom weg«, sagt es. »Was machst’n da?«
    Ich knie hinter dem Fernseher, mit einem Feuerzeug in der Hand.
    »Ich will den Videorecorder anschließen. Wo issen der Scart-Anschluss?«
    »Keine Ahnung«, sagt das Känguru.
    »Kuck ma, was hier steht!«, rufe ich plötzlich.
    Jemand hat den Fernseher mit einem Etikettiergerät gebrandmarkt.
    »Eigentum von Erich Honecker«, liest das Känguru. »Krass.«
    Das Licht geht wieder an, und der Fernseher rattert los. Ich schnuppere.
    »Ja. Der stinkt ein bisschen, wenn man ihn anmacht. Das gibt sich nach ein paar Minuten«, sagt das Känguru, während es zum Kühlschrank schlappt, um mir den letzten Vanillepudding wegzuschnabulieren. Ich suche einen Sender und setze mich zurück zu Jürgen vor die Couch. Es kommt eine Talkshow.
    »Es kommt ’ne Talkshow«, rufe ich in die Küche. »Willste mitkucken?«
    Das Känguru steht im Türrahmen und betrachtet kopfschüttelnd Jürgen und mich.
    »Ihr beide passt gut zusammen«, sagt es. »Mensch und Hund stehen auf ähnlich niederen Stufen der evolutionären Leiter. Der eine wie der andere schnüffelt noch gerne an der Scheiße seiner Artgenossen. Talkshows. Ha.«
    Hm. Es sieht so aus, als wolle es nicht mitkucken, sondern lieber neunmalkluge Bemerkungen machen.
    »Ich hab dir schon x-mal erklärt«, sage ich, »dass Jürgen kein Hund, sondern ein Goldhamster ist!«
    »Dann ist er aber ein äußerst großer Hamster«, sagt es.
    »Nein, er ist nicht groß, vielmehr entspricht seine Größe oder auch Kleine ziemlich genau der hierzulande geltenden Hamsternorm von so ungefähr faustgroß.«
    »Wahnsinn!«, ruft das Känguru. »Mutierte Riesenhamster! – Das darf doch nicht Warzenschwein!«
    »Lass das!«, sage ich.
    Plötzlich werde ich stutzig.
    »Kuck mal. Wer is’n das?«, frage ich. »Das ist doch der Krenz! Dass es den noch gibt …«
    Das Känguru steht auf und wechselt den Kanal.
    Wir sehen eine Gruppe Jungpioniere beim Wandern. Dabei singen sie das Lied von der kleinen, weißen Friedenstaube.
    »Schon wieder so ein Nostalgiequatsch«, sage ich, aber das Känguru singt begeistert mit:

    »Kleine weiße Friedenstaube fliege übers Land;
    Allen Menschen, großen, kleinen, bist du wohlbekannt.
    Fliege übers große Wasser, über Berg und Tal;
    Bringe allen Menschen Frieden, grüß sie tausendmal.«

    Ich blicke das Känguru verständnislos an.
    »Ich war auch mal Jungpionier!«, sagt das Känguru. »Das war mein Lieblingslied.«
    »Aha.«
    »Habt ihr keine Lieder gehabt im Westen? Was war die Hymne deiner kapitalistischen Jugend?«
    Ich überlege.
    »Nu?«
    »Ich überlege«, sage ich. »Vielleicht …« Ich beginne zu singen: »Musterhausküchenfachgeschäft – Wir richten Küchen mustergültig ein!« 10
    Das Känguru blickt mich verständnislos an.
    »Ach. Schalt mal weiter«, sage ich.
    Wir sehen nur noch Geflimmer.
    »Es gibt nur zwei Kanäle«, sagt das Känguru.
    »Schalt zurück!«, rufe ich.
    »Hey, da ist ja Pittiplatsch!«, ruft das Känguru gerührt.
    »Ach du meine Nase!« , sagt Pittiplatsch.
    »Nak, Nak« , gibt Schnatterinchen zu bedenken.
    Das Känguru schaltet wieder zum ersten Kanal zurück.
    »Kuck mal. Wer is’n des da in der Talk-Show?«
    »Das ist doch der Mielke!«, sagt das Känguru.
    »Und der Honecker …«, sage ich.
    »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«, sagt der Generalsekretär.
    Wir blicken uns an.
    »Denkste, was ich denke?«, frage ich.
    »Was denkste denn?«, fragt das Känguru.
    »Meinste, das ist wirklich der Fernseher von Erich Honecker und man kann damit in die Vergangenheit kucken?«, frage ich.
    »Scheint so«, sagt das Känguru.
    »Und weißt du, an was ich jetzt

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