Die Känguru Chroniken
eingesetzt …
»Gehen Sie nur rein«, sagt die kleine, mopsähnliche Frau. »Er ist noch immer phasenweise verwirrt. Aber er arbeitet beständig daran, Ihren letzten Besuch zu verdrängen.«
Ich öffne die Tür. Mein Psychiater läuft im Zimmer auf und ab. Er murmelt: »Papageien. Nur Papageien.« Endlich bemerkt er mich und wendet sich mir zackig zu. Er reißt die Augen auf. Schaut, ob ich allein bin. Schließt hinter mir die Tür. Er wartet. Als nichts weiter passiert, entspannt er sich sichtlich.
»Hallo«, sage ich. »Wie geht’s dem Gnu?«
»Äh. Es geht ihm gnut. Ich meine gut. Gut, gut. Äh. Legen Sie sich auf die Couch.«
Ich erzähle ihm meinen Traum.
»… und das Känguru war über mir im Baum. Ich reiße das Gewehr nach oben, will schießen. Hab aber Ladehemmungen.«
»Aha. Aha. Ladehemmungen. Aha. Ladehemmungen. Fürchten Sie sich sehr vor Impotenz?«
»Wollen Sie mich verarschen?«, frage ich. »Haben Sie das wirklich studiert oder haben Sie Ihr Diplom fürs Woody-Allen-Filme-kucken bekommen?«
»Tschilp, tschilp, tschilp.«
»Hören Sie auf damit!«
Er steht auf und flattert mit den Armen.
»Tschilp, tschilp, tschilp.«
Ich stehe auf und gebe ihm eine Ohrfeige.
»Entschuldigung«, sagt er und legt sich auf die Couch. »Wissen Sie, es ist diese latente Gewaltbereitschaft, die mich so verstört.«
»Aha«, sage ich.
»Dieses Brutale. Damit kann ich nicht umgehen«, sagt der Doktor.
»Aha«, sage ich. »Und dieses Känguru …«
»Hatschi!«, macht das Känguru. Dann schimpft es wieder: »So ein blödes Land. Dauernd ist es nass und kalt, und die Klimaerwärmung ist ja auch alles andere als eine verlässliche Sache.«
»Hatschi!«, macht es und schreit, während es sich die Pfote an die Nase hält: »Taschentuch, Taschentuch!«
»Hier«, sage ich.
Das Känguru schnäuzt. Ich muss lachen.
»Spielste Trompete?«, frage ich.
»Ha, ha. Hatschi!«, macht das Känguru, dann kramt es in seinem Beutel.
»Wo sind meine Tabletten?«
»Weiß nich.«
»Ach egal«, mault das Känguru. »Helfen ja eh nix. Scheißtabletten.«
»Meine Mama hat immer gesagt: Ohne Medizin dauert’s ’ne Woche – mit nur sieben Tage«, sage ich.
»Ja! 50 Euro in den Wind geblasen«, sagt das Känguru. »100 Mark! Halstabletten, Nasendusche, Hustensaft, Augentropfen, Fieberzäpfchen, und wofür? Hatschi!«
Eine Stunde später hängt das Känguru mit einem Plastikklöppel im Nasenloch über dem Waschbecken und duscht seine Nebenhöhlen.
»Nimmst du dafür eigentlich Shampoo oder Duschgel?«, frage ich.
»Haha – hatschi!«, macht das Känguru.
»Hast du schon mal von Dr. Jefgeni-Weitz gehört?«, fragt das Känguru. Ich schüttle den Kopf. »Bereits in den Sechzigern hatte dieser Mann einen Impfstoff entwickelt, das sogenannte Jefgenium, mit dem es möglich gewesen wäre, innerhalb kürzester Zeit alle Welt gegen Erkältungen immun zu machen. Doch einen Tag bevor er seine Entdeckung publik machen wollte – wurde er von der Hustenbonbonindustrie ermordet!«
Das Känguru wechselt das Nasenloch.
»Der Pathologe fand bei der Autopsie ein übergroßes Wick-Blau, welches Jefgeni-Weitz so tief in den Rachen gesteckt wurde, dass er elendig daran erstickte. Seine Mitarbeiter haben die Warnung verstanden und entwickeln seither neue Geschmacksstoffe für Pullmoll.«
»Ich mag die mit Kirsche«, sage ich.
»Ja. Die sind ganz lecker«, sagt das Känguru. »Aber darauf wollte ich nicht hinaus.«
Nachmittags sitzen wir bei einem »Atme-dich-frei«-Tee in der Küche.
»Pharmaindustrie, das ist ein Euphemismus!«, schimpft das Känguru und nimmt noch einen Schluck. »Medizinmafia nenne ich die!«
»Ein Euphe was?«, frage ich.
»Wahrscheinlich machen die Mittel sogar kränker statt gesünder. Je länger ich krank bin, desto mehr verdienen die doch. Denen liegt also gar nichts daran, dass ich gesund werde. Im Gegenteil!«
»Wahrscheinlich versprühen die sogar gezielt Krankheitserreger!«, sage ich halb belustigt, halb beunruhigt.
»Ja!«, ruft das Känguru. »In der U-Bahn, im Einkaufszentrum, in den Wartesälen der Bürgerämter, da jagen die Viren und Bakterien durchs Belüftungssystem. Denen trau ich alles zu.«
»Und weißt du …«, schreit das Känguru später aus dem Badezimmer, wo es ein Erkältungsbad nimmt, »kommen wir mal zum Kern des Problems. Weißt du, warum es immer noch kein Mittel gegen AIDS gibt?«
»Weil die Leute in Afrika weniger als einen Dollar in der Woche verdienen?«, frage
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