Die Kalte Sofie
war Sofies Interesse an den Ermittlern in Grün von da an geweckt.
Seitdem war eine Menge Wasser die Isar hinuntergeflossen. Aus Sofie war nun selbst eine gestandene Rechtsmedizinerin geworden, und aus der energischen, hübschen Vroni, die einst die Schulbank mit »Kaiser Franz« gedrückt hatte, eine zierliche äl tere Dame im geblümten Hausmeisterkittel. Wer allerdings einen zweiten Blick in Vronis graue, von vielen Fältchen umkränzte Augen riskierte, entdeckte dort alles andere als Müdigkeit und Altersmilde. Ein unbändiger Lebenswille blitzte dort. Neugier. Vor allem aber der Schalk eines jungen Mädchens.
Und so meinte Vroni jetzt: »Hab nur an Scherz gmacht, Sofie. Oder hast im Ernst gemeint, ich hätt im Lauf der Jahre ned gmerkt, dass du die Gelbwurst immer rauszupfst, weilst es ned magst? Dafür hast jetzt an Obazdn auf deinem Brot. Und a paar Radieserl dazua. Damit lieg ich garantiert ned falsch. Stimmt’s?«
Sofie nickte grinsend und griff nach dem liebevoll zurechtgemachten Lunchpaket. Ein Hund war sie schon, die Tante. Wenn das so weiterging, würde es wohl mit der dringend anstehenden Diät nie etwas werden.
Dann aber warf Vroni einen kritischen Blick auf Sofies alte Jeans.
»Wie jetzt? So gehst mir aber ned zu dene Neunmalgschei den in der Nußbaumstraß!«
Sofie sah ertappt an sich hinab, dann deutete sie auf den Stapel Kartons hinter sich.
»Hilft nix, Tante. Bis ich ans richtige Gwand drankomm, ist es Mittag. Ich geh ja nicht zu einer Modenschau. Mit dem grünen Kittel drüber fallen die alten Jeans sowieso niemandem auf.«
Bevor die Tante noch weitere Einwände vorbringen konnte, packte Sofie hastig ihren Fahrradhelm und den Rucksack, steckte das Päckchen hinein und drückte der verdutzten Vroni einen Kuss auf die Wange.
»Und jetzt zisch ich ab, damit ich wenigstens pünktlich bin. Dank dir für die Brotzeit!«
Schnell polterte sie an Vroni vorbei die Treppe hinunter.
Die Tante sah ihr stirnrunzelnd nach, dann besann sie sich. Jessas! Um ein Haar hätte sie das Wichtigste vergessen.
Sie beugte sich über das Geländer.
»Viel Glück! Und denk dran: heut Abend um sieben, unser Festessen!«
»Alles klar!«
»Ich hab auch einen Überraschungsgast für dich eingeladen.«
Unten schlug die Haustür zu. Vroni beschlich das Gefühl, dass Sofie den letzten Satz wohl nicht mehr gehört hatte.
Ein schelmisches Grinsen huschte über ihr Gesicht.
Vielleicht auch besser so …
4
Stoßgebete
V or dem Gnadenbild der Gottesmutter sank Vroni auf die Knie. Sie war allein in der kleinen Seitenkapelle. So hatte sie es am allerliebsten. Wie auch sonst hätte man in aller Ruhe miteinander ratschen können?
»Du weißt, dass ich mei Zeit braucht hab«, murmelte sie. »Wo ich doch eigentlich nach Heilig Kreuz hinaufgehör. Aber inzwischen bin i bei dir in Maria Hilf ganz dahoam. Und bedanken muss i mi. Weil doch mei Sofie endlich wieder da is. Des hast wirklich guat gmacht, heilige Mutter!«
Ein Sonnenstrahl ließ das feine Gesicht der Statue aufleuchten. Auch das Jesuskind auf ihrem rechten Arm schien plötzlich von innen zu schimmern.
Vronis Blick glitt über die Bilder, die rechts und links von der Gottesmutter dicht an dicht hingen.
»So a Votivbuidl waar als Dank scho was Schöns«, sagte sie. »Aber a gscheids – wenn schon, denn schon! Du woaßt, dass i überhaupt ned zeichnen kann. Und den Alois, meinen Buam, den kann ich darum ned bitten. Wo er doch so viel um die Oh ren hat bei der Versicherung und immer auf Achse is. Außerdem ham die zwoa sich sowieso no nie leiden kenna, damals ned und heit erst recht ned. Leider. Des hat er halt nie verstehn wolln, dass die Sofie jetzt a Studierte is, eine, die die Toten aufschneidet, um die Wahrheit zu finden. Schon seltsam: Da is sie am Tag der Eisheiligen Sophie zur Welt gekommen und so a warmherzigs Madl worn – und trotzdem ausgerechnet bei Leichen gelandet.«
Sie fingerte nach einem Taschentuch und begann, sich ausführlich zu schnäuzen.
»’tschuldigung!«, sagte sie, als sie damit fertig war und die Hände wieder falten konnte. »Ja, des Studium, des hats guat gemeistert, und an Doktortitel darfs jetzt a führen – aber was is mit der Liebe? Die bleibt doch gänzlich auf der Strecke, wenn mir zwei ned höllisch aufpassen.«
Sie rutschte ein Stück nach vorn, um der Madonna noch näher zu sein.
»Du und ich, mir wissen, dass ich a bisserl übertrieben hab«, fuhr Vroni fort. »Aber a Schlagerl is a Schlagerl, auch wenns ned ganz
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