Die Kalte Zeit
verloren! Nun konnte Konrad ihn laufen lassen. Damit würde man ihn leicht kriegen. Konrad musste nur zur Polizei . . . Die Hitze wurde unerträglich. Konrad wandte den Kopf und sah nur noch . . . Feuer. Eine gleißende Wand, die hoch bis in die Spitzen seiner Tannen reichte. Wie schnell sie sich vorwärts bewegte, Reihe für Reihe zerstörte. Nichts wie raus hier!
Etwas Schweres prallte gegen ihn. Die Wucht des Stoßes und ein gellender Schmerz in der Seite warfen Konrad zu Boden.
»Kurwa!« Auch der Pole war gestürzt.
Konrad rappelte sich auf, warf sich auf den noch liegenden Mann, der sich mit Armen und Beinen wehrte. Er war längst nicht so kräftig, wie Konrad befürchtet hatte. Konrad kam auf die Knie und presste die Unterarme seines Widersachers mit seinen Beinen in den Boden.
»Cholera jasna!« Das Gesicht des Polen glühte im Licht des Feuers. Schwarze, buschige Augenbrauen. Ein Dreitagebart. Das war keiner ‚seiner’ Polen, die jedes Jahr bei ihm jobbten. Diesen Mann hatte Konrad noch nie gesehen. Er konnte nicht mehr denken. Es war heiß, so heiß . . . Er musste atmen, weiteratmen. Er schnappte nach Luft. Rauch biss in seine Lungen. Er keuchte, krümmte sich, sein Körper schmerzte. Der Pole bäumte sich auf, bekam einen Arm frei, warf Konrad zur Seite und riss ihm das Handy aus der Hand. Dann griff er nach Konrads Arm, zerrte an ihm und schrie: »Komm! Komm! Weg hier!«
Konrad bekam nur ein Röcheln heraus.
»Schnell, schnell!«, drängte der Pole.
Mit letzter Kraft hievte Konrad sich hoch, der Pole stützte ihn. Konrad stand, wenn auch auf wackeligen Beinen.
»Konrad!«
Jemand rief nach ihm. Eine tiefe Stimme. Nicht die Stimme des Polen. Konrad drehte sich um. Da stand noch ein Mann, Rauch hüllte ihn ein und die Tannen warfen Schatten auf sein Gesicht. Konrad riss die Augen auf. Er konnte das Gesicht nicht erkennen.
Auf dem Boden glühten die Grashalme auf wie Leuchtdrähte. Weg hier! Nur noch Sekunden und alles ging in Flammen auf! Der Pole ließ Konrads Arm los. Er schrie etwas auf Polnisch und sprang durch die Glutherde und die Flammenzungen im Unterholz davon. Konrad wollte atmen. Gottes Atem. Das sanfte, weite Tal und der Fluss. Borshomi. Marissa wartete auf ihn. Er musste zu ihr! Konrad stolperte in das unendliche Grün, auf den kühlenden Fluss zu. Es war nicht mehr weit. Marissa. Marissa!
»Bleib stehen, Konrad!«
Der Schattenmann sprang auf ihn zu und hob den Arm. In seiner Hand sah Konrad einen schwarzen, länglichen Gegenstand, er sauste auf Konrads Kopf hinunter. Dann versank alles in Dunkelheit.
*
Kriminalhauptkommissar Tom Zagrosek beugte sich vor und griff nach der Champagnerflasche auf dem Wohnzimmertisch. Er goss Veras Glas voll. In sein eigenes füllte er nur einen winzigen Schluck zum Anstoßen.
»Auf dich. Alles Liebe zum Geburtstag.«
»Danke dir.« Vera nahm einen tiefen Schluck und stellte das Glas ab.
Sie hatten sich fast drei Monate nicht gesehen. Zwölf Wochen totale Funkstille, nachdem Vera eine Affäre mit Zagroseks Kollegen Hans Nellessen angefangen hatte. Zwölf Wochen keine Berührung. In Zagroseks Fall hieß das: überhaupt keine Berührung einer Frau. Dann gab es Gerüchte im Kommissariat. Es war wohl aus zwischen den beiden. Und heute diese unerwartete Einladung zu Veras Geburtstag. Sie hatte gekocht, Hühnchenspieße mit Erdnusssoße, exotisch und scharf. Nun machten sie Smalltalk auf dem Sofa. Der Sicherheitsabstand von einer Sofakissenbreite wurde streng eingehalten.
Während Vera von ihrer neuen Mitarbeiterin in der Apotheke erzählte, hörte Zagrosek nur mit einem Ohr hin. In den fünf Jahren, die sie sich kannten, hatte Vera ihn mehrmals verlassen, zwischendurch andere Männer gehabt. Sie schien selbst nicht genau zu wissen, was sie suchte. Fakt war, sie war jedes Mal zu ihm zurückgekommen. Aber, dass es diesmal Hans Nellessen gewesen war, darüber kam Zagrosek noch nicht hinweg.
Vera nahm noch einen Schluck. »Entschuldige.« Sie ging ins Bad, nach einer kurzen Weile hörte Zagrosek die Toilettenspülung, dann den Wasserhahn rauschen.
Vera kam zurück und setzte sich. Näher! Sie war ganz eindeutig näher rangerückt.
Zagrosek lehnte sich zurück, versuchte sich zu entspannen. Aber sein gesamter Körper funktionierte wie ein Radar, das jede von Veras Bewegungen in Entfernung umrechnete.
»Schade, dass du nichts trinken darfst«, sagte Vera. »Vielleicht wärst du sonst ein bisschen lockerer.«
»Du weißt doch, ich bin kein Ass
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