Die Kalte Zeit
muss sie gezwungen haben, mit ihm zu schlafen. Er war der reiche Mann aus Deutschland, er konnte auch meinen Vater zwingen, bei Sturm auf eine hohe Tanne zu klettern. Ich habe Konrad Verhoeven mein ganzes Leben lang gehasst. Nun muss ich mit dem Wissen leben, dass ich sein Fleisch und Blut bin.«
»Warum sind Sie hier hergekommen?«, fragte Zagrosek leise.
»Ich wollte nicht kommen. Ich habe um meine Mutter getrauert. Die Monate vergingen. Und irgendwann dachte ich, ich hab mich wieder im Griff. Doch vor einigen Wochen habe ich gehört, dass Verhoeven die Nordmanntannen beerntet hat und aus den Samen Profit schlagen will. Das war zuviel. Verstehen Sie, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.«
»Gesa Hendricks’ Pläne sind bis zu Ihnen nach Georgien gedrungen? Wie geht denn das?«
»Ich habe viele Geschäftskontakte hier, ich höre fast alles aus der Branche. Und dann hieß es, demnächst kämen Qualitätssamen aus Borshomi auf den Markt, die hier in Deutschland geerntet worden sind. Es war nicht schwer, die Zusammenhänge rauszubekommen.«
»Sie waren wütend. Was ist dann passiert?«
»Das habe ich Ihrem Kollegen schon alles gesagt!«
Zagrosek nickte. »In der Nacht auf den zehnten November haben Sie die Tannenspitzen abgeschlagen. Und dann?«
»Dann bin ich zurückgeflogen. Am nächsten Morgen.«
»Wie ging es Ihnen danach? Sie hatten sich an Konrad Verhoeven gerächt, ihm das Weihnachtsgeschäft kaputt gemacht. Ihm drohte die Pleite. Haben Sie sich besser gefühlt? Das wäre . . .«, Zagrosek zögerte, »verständlich.«
Guram stützte den Kopf in die Hände.
Kleinschmidt setzte sich an den Tisch, zwinkerte und nickte Zagrosek zu. In früheren Zeiten war das ein Zeichen der Anerkennung zwischen ihnen gewesen. Es läuft gut, hieß das. Gleich hast du ihn soweit. Und heute? Heute hieß es das gleiche. Kleinschmidt und er waren wieder ein Team. Zagrosek spürte eine angenehme Wärme im Bauch. Ja, sein Job machte ihm Spaß.
Doch Guram schwieg.
»Man könnte meinen, die Sache war erledigt«, sagte Zagrosek. »Ihr Leben zuhause ging weiter. Sie lieben Ihre Frau, Ihre beiden Söhne. Wir hätten Sie vermutlich niemals erwischt. Aber nein, Sie kommen zurück. Sie hocken in der Kälte auf dem Heuboden der Martinis und beobachten Verhoevens Hof. Sie verprügeln und bedrohen Wolf Hendricks. Warum? Warum haben Sie alles aufs Spiel gesetzt?«
»Ich wollte ihn nur einmal sehen.« Die Antwort kam sehr schnell. »Konrad Verhoeven. Was für ein Mensch er war. Was für ein Schwein. Aber ich hatte Angst. Wenn ich mich nun in ihm täuschte? Ich wusste, es ist leichter, mich an meinem Hass festzuklammern.« Guram schüttelte den Kopf. »Aber ich konnte so nicht mehr weiterleben. Ich weiß selbst nicht, warum.« Er rieb sich über die Augen. »Ich bin gekommen, um Verhoeven einmal zu sehen. Aber da war er schon . . .«
Die Tür ging auf und Maxi steckte den Kopf herein. »Ich hab die Flugdaten.«
»Komm rein«, sagte Kleinschmidt und stoppte die Aufnahme.
Die Sekretärin legte ein paar Ausdrucke auf den Tisch. Zagrosek überflog Abflug- und Ankunftszeiten zwischen Tiflis und Düsseldorf mit Zwischenstopp in München. Gurams erster Hinflug war am neunten November gewesen, am Tag vor der Zerstörung der Tannen. Der Rückflug ging am Tag danach. Dann war er am vierzehnten Dezember erneut in Düsseldorf gelandet.
»Die anderen Fluggesellschaften hast du kontaktiert?«
Maxi nickte. »Er ist nur Lufthansa geflogen, nur auf diesen Verbindungen.«
Zagrosek dankte ihr und sie verließ den Raum.
Lammert und Nellessen sahen hinein. »Wir brauchen euch für eine Minute«, sagte Lammert.
Zagrosek und Kleinschmidt traten auf den Flur.
»Guram Tsiklauri war an Konrad Verhoevens Todestag in Georgien«, sagte Kleinschmidt.
»Vergesst Tsiklauri. Es gibt eine neue Spur.« Lammert räusperte sich.
»Die Taschenlampe von Wolf Hendricks?«, fragte Zagrosek.
»Das Labor hat verwertbare DNA gefunden. Getrocknetes Blut. Hautpartikel. Leider auch eine Menge Erde und Dreck. Die Auswertung dauert.«
»Lars Schäffer hat mir diesen Hinweis auf Hendricks’ Taschenlampe gegeben«, sagte Zagrosek. »Wie geht es ihm? Können wir mit ihm sprechen?«
»Nicht vor morgen früh. Er hat eine schwere Gehirnerschütterung«, meinte Lammert. »Aber ihr könnt mit Wolf Hendricks reden.«
»Wo ist er?«
»Er sitzt in Raum hundertdrei. Eine Streife hat ihn hinter Büttgen aufgegriffen.« Lammert sah Zagrosek an. »Er ist unverletzt.«
»Tom,
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