Die Kameliendame
ich meine Ernüchterung hätte teilen können. Ich begab mich auf meinen Platz.
Das Zeichen zum Öffnen des Vorhanges wurde gegeben, als Ernest eiligst zu seinem Platz neben mir zurückkam. ,Wie Sie da eben fortgegangen sind!' sagte er, sich setzend, ,die glaubten, Sie hätten den Verstand verloren!' ,Was hat Marguerite gesagt, als ich fort war?' ,Sie hat gelacht und mir versichert, daß sie noch nie so etwas Komisches gesehen habe. Aber Sie sollen sich deshalb nicht geschlagen geben. Nur dürfen Sie diesen Mädchen nicht die Ehre erweisen, sie ernst zu nehmen. Die wissen nicht, was das ist: gutes Benehmen und Höflichkeit. Es ist wie mit Hunden, die man parfümiert und die dann finden, das rieche scheußlich, und sich in der Gosse wälzen.'
,Ach, was geht mich das an', sagte ich und versuchte einen leichten Ton zu treffen. ,Ich werde diese Frau nie wieder sehen. Wenn sie mir gefiel, ehe ich sie kannte, so hat sich das sehr geändert, nachdem ich sie nun kenne.' ,Bah, ich zweifle nicht daran, daß ich Sie eines Tages in ihrer Loge sehen werde und Sie sagen höre, Sie seien bereit, sich für sie zugrunde zu richten. Im übrigen haben Sie recht, sie ist schlecht erzogen, aber sie ist eine reizende Geliebte.' Zum Glück ging der Vorhang auf, und mein Freund schwieg. Ich kann Ihnen nicht sagen, was gespielt wurde. Ich erinnere mich nur noch, daß ich von Zeit zu Zeit meine Augen zu der Loge wandte, die ich so brüsk verlassen hatte. Dort kamen und gingen immer neue Besucher. Ich war weit davon entfernt, nicht mehr an Marguerite zu denken. Ein anderes Gefühl beherrschte mich. Mir schien, ich müsse ihren Schimpf und meine Lächerlichkeit wiedergutmachen. Ich sagte mir, daß ich eines Tages, und sei es um den Preis meines gesamten Vermögens, dieses Mädchen bekommen und mit Recht den so rasch verlorenen Platz in ihrer Loge einnehmen würde. Noch bevor das Stück zu Ende war, verließen Marguerite und ihre Freundin die Loge. Sogleich verließ auch ich meinen Platz. ,Gehen Sie?' fragte Ernest mich.
'Ja' ,Warum?' Da bemerkte er, daß die Loge leer war.,Gehen Sie, gehen
Sie', sagte er, ,und viel Glück, oder besser: mehr Glück,' Ich ging.
Im Treppenhaus hörte ich raschelnde Kleider und laute Stimmen. Ich verbarg mich und sah, ohne daß ich gesehen werden konnte, die beiden Frauen und in ihrer Begleitung zwei junge Männer.
In der Säulenhalle des Theaters stand ein kleiner Diener. ,Sage dem Kutscher, er soll vor dem Café Anglais warten, wir gehen zu Fuß dorthin', sagte Marguerite zu ihm. Einige Minuten später - ich ging auf dem Boulevard auf und ab - sah ich an einem der großen Fenster des Restaurants Marguerite. Sie lehnte sich hinaus und entblätterte nacheinander die Kamelien ihres Buketts.
Einer der jungen Männer beugte sich über ihre Schulter und sprach leise auf sie ein.
Ich begab mich nun ins Maison d'Or, in einen Salon der ersten Etage, und ließ das besagte Fenster nicht mehr aus den Augen. Um ein Uhr morgens bestieg Marguerite mit ihrer Begleiterin und den beiden Freunden ihren Wagen. Ich nahm ein Kabriolett und folgte ihr. Der Wagen hielt in der Rue d'Antin Nr. 9.
Marguerite stieg aus und ging allein in ihre Wohnung hinauf. Das war sicher nur ein Zufall, aber dieser Zufall machte mich glücklich.
Von dem Tage an begegnete ich Marguerite häufig, im Theater, in den Champs-Elysées. Immer die gleiche Heiterkeit bei ihr, die gleiche Erregung bei mir.
Dann vergingen zwei Wochen, ohne daß ich sie irgendwo sah. Ich traf Gaston und fragte ihn, ob er etwas Neues wüßte.
,Das arme Mädchen ist recht krank', antwortete er mir. ,Was fehlt ihr?'
,Sie ist lungenkrank, und da sie ein Leben geführt hat, das die Heilung nicht gerade fördert, liegt sie zu Bett und ist dem Tode nahe.' Das Herz ist oft seltsam) fast war ich froh über diese Krankheit. Jeden Tag fragte ich nun nach ihrem Ergehen, ohne jedoch bei dem Portier meinen Namen einzuschreiben oder meine Karte abzugeben. So hörte ich auch von ihrer Genesung und von ihrer Abreise nach Bagneres. Die Zeit verging. Der Eindruck, wenn auch nicht die Erinnerung, schien nach und nach zu verblassen. Ich war viel auf Reisen. Andere Bindungen, Bekanntschaften und intensive Arbeit nahmen alle meine Gedanken in Anspruch. Wenn ich einmal an dieses erste Abenteuer dachte, dann wollte ich darin nur eine von den vielen Episoden sehen, die man erlebt, wenn man jung ist, und über die man kurze Zeit später schon lacht.
Doch war der Sieg über diese Erinnerung nicht mein
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