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Die Kameliendame

Die Kameliendame

Titel: Die Kameliendame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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ohne an die Vergangenheit zu denken, wenn er sich an die Geliebte verlieren kann, wenn auch er so liebt, wie er geliebt wird, dann erschöpft dieser Mann auf einmal alle irdischen Beglückungen, und sein Herz bleibt hinfort für alle anderen Liebesempfindungen verschlossen.
Nicht an dem Morgen, als ich nach Hause kam, stellte ichdiese Überlegungen an. Es wäre wie eine Vorahnung der Dinge, die sich ereignen sollten, gewesen. Trotz meiner Liebe zu Marguerite sah ich derartige Folgen nicht. Heute ist es soweit. Nachdem nun alles unwiderruflich zu Ende ist, drängen sie sich mir natürlicherweise auf.
Aber kehren wir zu diesem ersten Tag zurück. Als ich nach Hause ging, war ich von übersprudelnder Heiterkeit. Bei dem Gedanken, daß die Hindernisse, die meine Einbildung zwischen Marguerite und mich gesetzt hatte, überwunden waren, daß ich sie besaß, daß ich ihr Denken beschäftigte, daß ich den Schlüssel zu ihrer Wohnung in meiner Tasche hatte und damit das Recht besaß, mich dieses Schlüssels zu bedienen, war ich überaus zufrieden mit meinem Leben, war stolz auf mich und liebte Gott, dem ich dies alles verdankte. Eines Tages geht ein junger Mann durch eine Straße, er streift im Vorübergehen eine Frau, er schaut sie an, er dreht sich kurz um und geht weiter. Er kennt diese Frau nicht, er hat nicht teil an ihren Freuden, ihrem Kummer, ihrer Liebe. Er ist nicht für sie vorhanden, und vielleicht würde sie sich, wenn er sie anspräche, über ihn lustig machen, wie Marguerite es einmal mit mir tat. Wochen, Monate, Jahre vergehen, und plötzlich, nachdem jeder seinem eigenen Schicksal gefolgt ist, führt der Zufall sie wieder zusammen. Die Frau wird die Geliebte des Mannes und liebt ihn. Wie? Warum? Ihre beiden Leben sind nur noch ein Leben. Kaum sind sie einander vertraut, ist ihnen, als sei es immer so gewesen. Und alles, was vorher war, ist ausgelöscht im Gedächtnis der beiden Liebenden. Das ist doch wirklich eigenartig, nicht wahr? Auch ich konnte mich kaum entsinnen, wie ich vor dieser Nacht gelebt hatte. Mein ganzes Ich war beseligt bei der Erinnerung an die Worte, die wir in dieser Nacht tauschten. Entweder war Marguerite sehr geübt im Vortäuschen von Gefühlen, oder aber sie empfand für mich eine plötzliche Leidenschaft, die, so rasch, wie sie beim ersten Kuß erwacht war, auch wieder sterben würde.
Je länger ich darüber nachdachte, um so mehr mußte ich mir sagen, daß Marguerite keinen Grund hatte, Liebe zu heucheln, die sie nicht empfand. Ich sagte mir auch, daß die Frauen auf zweierlei Art zu lieben vermögen. Eine Art kann sich aus der anderen entwickeln. Sie lieben mit dem Herzen oder mit den Sinnen. Oft nimmt eine Frau einen Geliebten nur, weil sie ihren Sinnen gehorcht. Sie erfährt dann unerwartet den Zauber einer geistigen Liebe und sieht nur noch das Herz. Oft enthüllt sich einem jungen Mädchen, das in der Ehe nur die Vereinigung beiderseitiger, reiner Zuneigung sucht, plötzlich diese körperliche Liebe, die zu einem gewaltigen Gleichklang tieferEmpfindungen wird. Über diesen Gedanken schlief ich ein. Ich wurde durch einen Brief von Marguerite geweckt, der nur die Worte enthielt:
,Hier meine Befehle: Heute abend im Vaudeville. Kommen Sie in der Pause nach dem dritten Akt in meine Loge. M. G.'
Ich legte das Billett in eine Schublade, um es immer greifbar zu haben, wenn ich zweifeln sollte, wie es in manchen Augenblicken geschah. Sie sagte nicht, ich solle sie am Tage besuchen, und ich wagte daher nicht, unaufgefordert zu ihr zu gehen. Aber ich wünschte so lebhaft, sie zu sehen, daß ich in die Champs-Elysées ging; wo sie auch, wie am Vortage, an mir vorüberfuhr.
Um sieben Uhr war ich im Vaudeville. Noch nie bin ich so früh in einem Theater gewesen. Eine Loge nach der anderen füllte sich. Nur eine blieb leer: die Proszeniumsloge im Parterre.
Zu Beginn des dritten Aktes sah ich, wie die Türe dieser Loge geöffnet wurde. Ich hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Marguerite erschien.
Sie trat sofort an die Brüstung, suchte im Parkett, sah mich und grüßte mit einem Blick. Sie war wunderbar an diesem Abend.
War ich der Grund, daß sie sich so schön gemacht hatte? Liebte sie mich vielleicht doch so sehr, daß sie glaubte, je schöner sie sei, desto glücklicher würde mich das machen? Ich wußte es noch nicht. Aber was auch der Grund gewesen sein mag, sie hatte Erfolg. Denn sobald sie erschien, neigten sich die Köpfe zueinander, ja selbst die Schauspieler auf

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