Die Kammer
ziemlich erleichtert. Er hatte es wenigstens versucht. Wenn Mr. Kramer ihn nicht sehen wollte, dann gab es nichts, was er dagegen unternehmen konnte.
Er hörte Schritte auf dem Holzfußboden und drehte sich um. Ein alter Herr mit einer Visitenkarte in der Hand. Er war groß und mager, mit welligem, grauem Haar, dunkelbraunen, tiefverschatteten Augen in einem kraftvollen, hageren Gesicht, auf dem in diesem Moment kein Lächeln lag. Er stand sehr aufrecht, kein Stock, der ihn stützte, keine Brille, die ihm sehen half. Er musterte Adam, sagte aber nichts. Einen Augenblick lang wünschte Adam sich, er wäre vor fünf Minuten gegangen. Er fragte sich, wozu er überhaupt hergekommen war. Dann beschloß er, es trotzdem hinter sich zu bringen. »Guten Tag«, sagte er, als offensichtlich war, daß der Herr nichts zu sagen gedachte. »Mr. Elliott Kramer?«
Mr. Kramer nickte zustimmend, aber er nickte so langsam, als wäre die Frage eine Herausforderung.
»Mein Name ist Adam Hall. Ich bin Anwalt. Sam Cayhall ist mein Großvater, und ich vertrete ihn.« Es war offensichtlich, daß Mr. Kramer bereits selbst darauf gekommen war, denn Adams Worte ließen ihn völlig kalt. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Worüber?« fragte Mr. Kramer.
»Über Sam.«
»Ich hoffe, er verrottet in der Hölle«, sagte er, als wäre er bereits sicher, wo Sam eines Tages landen würde. Seine Augen waren so braun, daß sie fast schwarz wirkten.
Adam schaute zu Boden, fort von den Augen, und versuchte, sich etwas nicht Aufreizendes einfallen zu lassen. »Ja, Sir«, sagte er, wobei er sich vollauf bewußt war, daß er sich im tiefen Süden befand, wo man mit Höflichkeit das meiste erreichte. »Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus. Ich wollte nur ein paar Minuten mit Ihnen reden.«
»Schickt Sam seine Entschuldigung?« fragte Mr. Kramer. Die Tatsache, daß er von ihm einfach als Sam sprach, kam Adam eigenartig vor. Nicht Mr. Cayhall, nicht Cayhall, sondern Sam, als wären die beiden alte Freunde, die zerstritten gewesen waren, und jetzt war es an der Zeit, daß sie sich wieder versöhnten. Sag einfach, daß es dir leid tut, Sam, und alles ist in bester Ordnung.
Der Gedanke an eine rasche Lüge schoß Adam durch den Kopf. Er konnte dick auftragen, sagen, wie entsetzlich Sam sich an diesen seinen letzten Tagen fühlte, und wie verzweifelt er sich nach Verzeihung sehnte. Aber er brachte es nicht über sich. »Würde es einen Unterschied machen?« fr agte er.
Mr. Kramer steckte die Karte in seine Hemdtasche und begann mit etwas, aus dem ein langes Starren an Adam vorbei und durch das Schaufenster werden sollte. »Nein«, sagte er, »es würde keinen Unterschied machen. Es ist etwas, das schon vor langer Zeit hätte geschehen müssen.« Er sprach mit dem starken Akzent des Deltas, und obwohl ihr Inhalt unerfreulich war, war der Klang seiner Worte doch beruhigend. Sie kamen langsam und nachdenklich, ausgesprochen, als hätte Zeit keinerlei Bedeutung. Außerdem schwang in ihnen jahrelanges Leiden mit und die Andeutung, daß das Leben schon vor einer Ewigkeit aufgehört hatte.
»Nein, Mr. Kramer, Sam weiß nicht, daß ich hier bin, also kann er Ihnen auch nicht seine Entschuldigung schicken. Aber ich entschuldige mich für ihn.«
Der Blick durch das Fenster und in die Vergangenheit blieb starr. Aber er hörte zu.
Adam fuhr fort. »Ich fühle mich verpflichtet, für mich und für Sams Tochter zumindest zu sagen, wie entsetzlich leid uns all das tut, was passiert ist.«
»Weshalb hat Sam das nicht schon vor Jahren gesagt?«
»Diese Frage kann ich nicht beantworten.«
»Ich weiß. Sie sind neu.«
Ah, die Macht der Presse. Natürlich hatte Mr. Kramer die Zeitungen gelesen - wie alle anderen auch.
»Ja, Sir. Ich versuche, sein Leben zu retten.«
»Weshalb?«
»Aus mehreren Gründen. Durch seinen Tod bekommen Sie weder Ihre Enkel zurück noch Ihren Sohn. Er hat Unrecht getan, aber der Staat tut auch Unrecht, wenn er ihn tötet.«
»Ich verstehe. Und Sie glauben, das hätte ich noch nie zuvor gehört?«
»Nein, Sir. Ich bin sicher, Sie haben schon alles gehört. Sie haben alles gesehen. Sie haben alles empfunden. Ich kann nicht nachvollziehen, was Sie durchgemacht haben.«
»Was wollen Sie dann noch?«
»Können Sie fünf Minuten erübrigen?«
»Wir reden seit drei Minuten. Ihnen bleiben noch zwei.« Er sah auf die Uhr, als wollte er eine Stoppuhr einstellen, dann schob er seine langen Finger
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