Die Kammer
eine Mitfahrgelegenheit verschafft hatte. Auf dem Highway bog er nach Süden ab, in die Memphis entgegengesetzte Richtung, und überlegte, daß dies in zwei Wochen sein fünfter Besuch in Parchman gewesen war. Er hatte den Verdacht, daß das Gefängnis in den nächsten sechzehn Tagen sein zweites Zuhause werden würde. Ein sehr unerfreulicher Gedanke.
Heute war er nicht in der Stimmung, mit Lee zu reden. Er fühlte sich bis zu einem gewissen Grade verantwortlich für ihren Rückfall in den Alkoholismus. Aber sie hatte selbst zugegeben, daß sie schon seit vielen Jahren darunter litt. Sie war Alkoholikerin, und wenn sie trinken wollte, gab es nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Er würde morgen abend bei ihr sein und für Kaffee und Unterhaltung sorgen. Heute abend brauchte er eine Ruhepause.
Es war Nachmittag, der Asphalt des Highways flimmerte vor Hitze, die Felder waren staubig und trocken, die Landmaschinen bewegten sich matt und langsam, der Verkehr war dünn und träge. Adam fuhr aufs Bankett und schloß das Verdeck seines Kabrios. Bei einem chinesischen Laden in Ruleville machte er halt und erstand eine Dose Eistee, dann fuhr er einen einsamen Highway in Richtung Greenville entlang. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen, vermutlich eine unerfreuliche, aber trotzdem etwas, wozu er sich verpflichtet fühlte. Er hoffte, daß er den Mut haben würde, es durchzustehen.
Er hielt sich auf den kleinen, gepflasterten Nebenstraßen und fuhr fast ziellos durch das Delta. Zweimal verirrte er sich, fand sich aber beide Male bald wieder zurecht. Ein paar Minuten vor fünf kam er in Greenville an und fuhr auf der Suche nach seinem Ziel kreuz und quer durch die Innenstadt. Dabei kam er zweimal am Kramer-Park vorbei.
Er fand die Synagoge und ihr gegenüber auf der anderen Straßenseite die First Baptist Church. Er parkte am Ende der Main Street, am Fluß, wo ein Damm die Stadt schützte. Er rückte seine Krawatte zurecht und ging die Washington Street entlang zu einem alten Backsteingebäude, an dessen Vorderveranda, oberhalb des Gehsteigs, ein Schild mit der Aufschrift Krämer Großhandel hing. Die schwere Glastür ging nach innen auf, und der alte Holzfußboden knarrte, als er ihn betrat. Der vordere Teil des Gebäudes war so erhalten worden, daß er einem altmodischen Kaufladen ähnelte, mit Glastresen vor breiten Regalen, die bis zur Decke reichten. Die Regale und die Tresen waren angefüllt mit Kartons und Verpackungen von Nahrungsmittelprodukten, die vor vielen Jahren verkauft woren waren, jetzt aber der Vergangenheit angehörten. Eine uralte Registrierkasse vervollständigte die Dekoration. Das kleine Museum wich jedoch schnell modernem Kommerz. Der Rest des großen Gebäudes war renoviert worden und sah recht funktionell aus. Er war durch eine Glaswand von dem vorderen Teil getrennt, und ein breiter, teppichbelegter Flur führte ins Zentrum des Gebäudes und zweifellos zu Büros und Sekretärinnen, und irgendwo im Hintergrund mußte ein Lagerhaus sein.
Adam bewunderte die Ausstellungsstücke in dem vorderen Raum. Ein junger Mann in Jeans tauchte aus dem Hintergrund auf und fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
Adam lächelte und war plötzlich nervös. »Ja. Ich möchte zu Mr. Elliott Kramer.«
»Sind Sie Vertreter?«
»Nein.«
»Sind Sie ein Kunde?«
»Nein.«
Der junge Mann hatte einen Stift in der Hand und andere Dinge im Kopf. »Darf ich dann fragen, was Sie wünschen?«
»Ich wünsche Mr. Elliott Kramer zu sprechen. Ist er hier?«
»Er hält sich meist in seinem Lagerhaus südlich der Stadt auf.«
Adam trat drei Schritte vor und händigte dem jungen Mann seine Karte aus. »Mein Name ist Adam Hall. Ich bin Rechtsanwalt und komme aus Chicago. Ich muß unbedingt mit Mr. Kramer sprechen.«
Er nahm die Karte und betrachtete sie ein paar Sekunden, dann sah er Adam überaus argwöhnisch an. »Einen Augenblick«, sagte er und verschwand.
Adam lehnte sich gegen einen Tresen und bewunderte die Registrierkasse. Im Laufe seiner Recherchen hatte er irgendwo gelesen, daß Marvin Kramers Vorfahren seit mehreren Generationen erfolgreiche Kaufleute im Delta gewesen waren. Einer von ihnen hatte im Hafen von Greenville Hals über Kopf einen Dampfer verlassen und beschlossen, dort zu bleiben. Er gründete ein kleines Textilgeschäft, und so führte eins zum anderen. In den Akten über Sams Prozesse wurde die Familie Kramer wiederholt als reich bezeichnet.
Nach zwanzigminütigem Warten war Adam bereit zu gehen und
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