Die Kammer
der Regisseur eines Films mit Amateuren. »Dann frage ich ihn, ob er noch irgendwelche letzten Worte sprechen will.« Er machte wieder eine Handbewegung, und ein dazu ausersehener Wärter schloß die schwere Tür zur Kammer und versiegelte sie.
»Aufmachen«, bellte Nugent, und die Tür wurde wieder geöffnet. Der kleine Wärter wurde befreit.
»Jetzt das Kaninchen«, befahl Nugent. Einer der Leute lief hinaus und holte das Kaninchen von der Ladefläche des Pickup. Es saß friedlich in einem Drahtkäfig, der den beiden Wärtern übergeben wurde, die gerade die Kammer verlassen hatten. Sie stellten den Käfig auf den hölzernen Stuhl und taten dann so, als schnallten sie einen Mann fest. Handgelenke, Knie, Knöchel, Kopf. Und dann war das Kaninchen bereit für das Gas. Die beiden Wärter verließen die Kammer.
Die Tür wurde geschlossen und versiegelt, und Nugent gab dem Vollstrecker ein Zeichen, der einen Kanister mit Schwefelsäure in eine Röhre stellte, die zum Boden der Kammer führte. Er legte einen Hebel um, es gab ein klickendes Geräusch, und der Kanister machte sich auf seinen Weg zu der Schüssel unter dem Stuhl.
Nugent trat an eines der Fenster und schaute genau hin. Die anderen Mitglieder des Teams taten dasselbe. Um die Kanten der Fenster herum war Vaseline geschmiert worden, um Leckagen zu verhindern.
Das giftige Gas wurde langsam freigesetzt, und von der Schüssel unter dem Stuhl stieg ein leichter, sichtbarer Dunst auf und driftete langsam aufwärts. Anfans reagierte das Kaninchen nicht auf den Dunst, der sich in seiner kleinen Zelle ausbreitete, aber er erreichte es bald genug. Es versteifte sich, hüpfte ein paarmal, prallte gegen die Seiten seines Käfigs, verfiel dann in heftige Krämpfe, hüpfte und zuckte und wand sich. Nach weniger als einer Minute war es tot.
Nugent lächelte, als er auf die Uhr schaute. »Lüften«, befahl er, und eine Klappe im Dach der Kammer wurde geöffnet, durch die das Gas entweichen konnte.
Die Tür vom Kammerraum nach draußen wurde geöffnet, und die meisten Mitglieder des Hinrichtungsteams gingen hinaus, um frische Luft zu schnappen oder zu rauchen. Es würde mindestens eine Viertelstunde dauern, bevor die Kammer geöffnet und das Kaninchen herausgeholt werden konnte. Dann mußten sie es mit einem Schlauch abspritzen. Nugent war nach wie vor drinnen und beobachtete alles. Also rauchten sie und machten ein paar Witze.
Weniger als achtzehn Meter entfernt standen die Fenster des Flurs von Abschnitt A offen. Sam konnte ihre Stimmen hören. Es war nach zehn, und die Lichter waren aus, aber aus jeder Zelle des Abschnitts ragten zwei Arme heraus, und vierzehn Männer lauschten schweigend in die Dunkelheit.
Ein Insasse des Todestraktes lebt dreiundzwanzig Stunden am Tag in einer einsachtzig mal zwei Meter siebzig großen Zelle. Er hört alles - das fremde Klicken von einem neuen Paar Stiefeln auf dem Flur; den ungewohnten Klang und Akzent einer anderen Stimme; das weit entfernte Summen eines Rasenmähers oder Kantentrimmers. Und er hört mit Sicherheit das Öffnen und Schließen der Tür zum Kammerraum. Er hört das selbstzufriedene und bedeutsame Gemurmel des Hinrichtungsteams.
Sam lehnte sich gegen seine Unterarme und betrachtete die Fenster oberhalb des Flurs. Sie probten für ihn dort drüben.
40
Z wischen der westlichen Kante des Highway 49 und dem Rasen vor den Verwaltungsgebäuden von Parchman lag ein ungefähr fünfzig Meter breiter Streifen Grasland, glatt und eingeebnet, weil sich dort früher einmal Eisenbahngleise befunden hatten. Das war die Stelle, an der die Demonstranten gegen die Todesstrafe bei jeder Hinrichtung zusammengedrängt und überwacht wurden. Sie erschienen unweigerlich, gewöhnlich kleine Gruppen engagierter Leute, die auf Klappstühlen saßen und selbstgemachte Transparente hochhielten. Sie zündeten abends Kerzen an und sangen während der letzten Stunden Hymnen. Und wenn der Tod verkündet wurde, sangen sie noch mehr Hymnen, sprachen Gebete und weinten.
In den Stunden vor der Hinrichtung von Teddy Doyle Meeks, Kindesvergewaltiger und Mörder, war ein neues Element hinzugekommen. Die düsteren, beinahe weihevollen Proteste waren von Wagenladungen ausgelassener Collegestudenten gestört worden, die plötzlich und ohne jede Vorwarnung erschienen und nach Blut verlangten. Sie tranken Bier und spielten laute Musik. Sie brüllten Slogans und peinigten die erschütterten Protestler. Die Lage wurde kritisch, als die beiden Gruppen
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