Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
massivem Elfenbein bestand, doch er hielt es ganz vorsichtig, als habe er Angst, es könne sich ebenfalls auflösen. »Dieses blaue Licht«, setzte er an. »Ich habe gesehen, dass Zia im Ersten Nomos auch eines freigesetzt hat. Genau wie die Uschebti in Memphis – sie haben ihre Gedanken an Thot zurückgeschickt. Die richtige Zia muss also mit ihrem Uschebti in Verbindung gestanden haben. Das ist die Bedeutung dieses Lichts. Sie müssen Erinnerungen oder so was geteilt haben, oder? Sie muss wissen, was der Uschebti alles durchgemacht hat. Wenn die echte Zia irgendwo lebt, ist sie vielleicht eingesperrt oder in einer Art Zauberschlaf – wir müssen sie finden!«
Ich war nicht sicher, ob es so einfach war, aber da ich sah, wie verzweifelt er war, wollte ich nicht anfangen zu diskutieren.
Plötzlich jagte mir eine vertraute Stimme einen Schauder über den Rücken: »Was habt ihr getan?«
Desjardins kochte buchstäblich vor Wut. Seine zerrissenen Gewänder qualmten vom Kampf. (Carter ist der Meinung, ich sollte nicht erwähnen, dass man seine rosa Boxershorts sehen konnte, aber so war es nun mal!) Sein Zauberstab glühte und seine Barthaare schwelten. Hinter ihm standen drei ähnlich ramponierte Magier. Sie sahen allesamt so aus, als wären sie gerade aus einer Ohnmacht erwacht.
»Ach, gut«, murmelte ich. »Du lebst.«
»Ihr habt also mit Seth einen Handel abgeschlossen?«, fragte Desjardins. »Ihr habt ihn gehen lassen?«
»Wir sind dir keine Rechenschaft schuldig«, knurrte Carter. Er trat einen Schritt vor, die Hand auf dem Schwert, aber ich hielt ihn zurück.
»Desjardins«, sagte ich, so ruhig ich konnte. »Apophis wird immer stärker, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Wir brauchen die Götter. Das Lebenshaus muss die alten Formen der Magie wieder lernen, es muss lernen, die Macht der Götter gezielt einzusetzen.«
»Die alten Formen der Magie haben uns vernichtet!«, brüllte er.
Vor einer Woche hätte ich unter seinem Blick noch gezittert. Er glühte geradezu vor Wut und rings um ihn flackerten die Hieroglyphen in der Luft. Er war der Oberste Vorlesepriester und ich hatte gerade alles zunichtegemacht, wofür das Lebenshaus seit dem Niedergang Ägyptens gearbeitet hatte. Desjardins stand kurz davor, mich in ein Insekt zu verwandeln – eigentlich hätte mir das Angst machen sollen.
Stattdessen hielt ich seinem Blick stand. In diesem Moment war ich mächtiger als er. Viel mächtiger. Und ich ließ es ihn spüren.
»Du bist von Stolz zerfressen«, schleuderte ich ihm entgegen. »Von Gier und Selbstsucht und so weiter. Es ist schwer, dem Weg der Götter zu folgen. Doch es ist Teil der Magie und kann nicht einfach abgestellt werden.«
»Du bist ja völlig machttrunken«, knurrte er. »Die Götter haben Besitz von dir ergriffen, so wie sie es immer tun. Bald wirst du sogar vergessen, dass du ein Mensch bist. Wir werden dich bekämpfen und vernichten.« Dann funkelte er Carter böse an. »Und du – ich weiß, was Horus verlangt. Du wirst niemals den Thron zurückfordern. Mit meinem letzten Atemzug –«
»Halt einfach den Mund«, unterbrach ich ihn. Dann wandte ich mich an meinen Bruder. »Du weißt, was wir tun müssen?«
Wir verstanden uns wortlos. Ich war überrascht, wie einfach ich ihn lesen konnte. Erst dachte ich, es läge vielleicht am Einfluss der Götter, doch dann wurde mir klar, dass es daran lag, dass wir beide Kanes waren, Bruder und Schwester. Und Carter – oh Mann – war auch ein Freund für mich.
»Bist du sicher?«, fragte er. »Wir liefern uns damit aus.« Er warf Desjardins einen bösen Blick zu. »Noch ein kleiner Schwerthieb gefällig?«
»Ich bin mir sicher, Carter.«
Überleg es dir gut, riet Isis. Was wir bisher getan haben, stellt nur einen Bruchteil der Macht dar, die wir gemeinsam ausüben können.
Das ist das Problem, antwortete ich. Ich bin noch nicht so weit. Ich muss meinen eigenen Weg finden, auf die harte Methode.
Für eine Sterbliche bist du klug, erwiderte Isis. Also gut.
Stellt euch vor, ihr würdet ein Vermögen an Bargeld aufgeben. Stellt euch vor, ihr würdet die schönste Diamantenkette der Welt wegwerfen. Mich von Isis zu trennen war härter als das, viel härter.
Aber es war nicht unmöglich. Ich kenne meine Grenzen, hatte meine Mutter gesagt und jetzt verstand ich, wie weise sie gewesen war.
Ich spürte, wie mich der Geist der Göttin verließ. Ein Teil von ihr floss in meine Halskette, doch das meiste strömte über das Washington
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