Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
deren Fahrer ein Nickerchen über dem Lenkrad machten.
Es schliefen allerdings nicht alle. In der Ferne heulten Polizeisirenen, und als ich sah, dass wir uns quasi in den Garten des Präsidenten teleportiert hatten, wusste ich, dass es nicht lange dauern würde, bis wir schwer bewaffnete Gesellschaft bekommen würden.
Carter und ich rannten in die Mitte des geschmolzenen Quadrats, wo Amos und Zia zusammengekauert im Gras lagen. Von Seths Thron oder dem goldenen Sarg war nichts zu sehen, aber daran wollte ich lieber nicht denken.
Amos stöhnte. »Was …?« In seinen Augen zeigte sich blanke Angst. »Seth … Er … Er …«
»Ganz ruhig.« Ich legte ihm die Hand auf die Stirn. Er glühte. Seine Schmerzen schnitten mich wie eine Rasierklinge. Ich erinnerte mich an einen Zauberspruch, den mir Isis in New Mexico beigebracht hatte.
»Ruhig«, flüsterte ich. »Hah-ri.«
Hieroglyphen leuchteten schwach über seinem Gesicht.
Amos schlief wieder ein, aber ich wusste, es war nur eine vorübergehende Linderung.
Zia war noch schlimmer dran. Carter stützte ihren Kopf und versicherte ihr, dass alles wieder gut werden würde, doch sie sah elend aus. Ihre Haut hatte eine seltsame rötliche Farbe, trocken und spröde, als hätte sie sich einen richtig üblen Sonnenbrand geholt. Im Gras um sie herum verblassten Hieroglyphen – es waren die Überbleibsel des Schutzkreises – und ich glaubte zu verstehen, was passiert war. Als die Pyramide einstürzte, hatte sie ihr letztes bisschen Kraft aufgeboten, um Amos und sich zu schützen.
»Seth?«, fragte sie schwach. »Ist er weg?«
»Ja.« Als Carter mir einen Blick zuwarf, war mir klar, dass wir die Einzelheiten für uns behalten würden. »Dank dir ist alles gut. Der geheime Name hat funktioniert.«
Sie nickte zufrieden, dann fielen ihr wieder die Augen zu.
»Hey.« Carters Stimme bebte. »Bleib wach. Du wirst mich doch nicht mit Sadie allein lassen, oder? Sie ist ein schlechter Umgang.«
Zia versuchte zu lächeln, doch sie zitterte vor Anstrengung. »Ich war … niemals hier, Carter. Ich war bloß eine Nachricht – ein Platzhalter.«
»Ach, komm. Nein. So darfst du nicht reden.«
»Sucht sie, ja?«, sagte Zia. Eine Träne rann ihr über die Nase. »Das würde … ihr gefallen … eine Verabredung im Einkaufszentrum.« Sie wandte sich ab und starrte mit leerem Blick in den Himmel.
»Zia!« Carter umklammerte ihre Hand. »Hör auf damit. Du darfst nicht … Du darfst einfach nicht …«
Ich kniete mich neben ihn und berührte Zias Gesicht. Es war kalt wie Stein. Und obwohl ich verstand, was passiert war, fiel mir nichts ein, was ich hätte sagen oder womit ich meinen Bruder hätte trösten können. Er schloss die Augen und ließ den Kopf hängen.
Und dann passierte es. Entlang der Tränenspur von ihrem Augenwinkel bis zur Nasenwurzel platzte Zias Gesicht auf. Feine Risse tauchten auf und durchzogen ihre Haut wie ein Netz. Ihr Fleisch trocknete aus, wurde hart … verwandelte sich in Ton.
»Carter«, sagte ich.
»Was?«, fragte er kläglich.
Genau in dem Moment, als ein kleines blaues Licht aus Zias Mund aufstieg und zum Himmel flog, sah Carter auf. Er wich erschrocken zurück. »Was – was hast du gemacht?«
»Nichts«, erwiderte ich. »Sie ist ein Uschebti. Sie war niemals wirklich hier. Sie war bloß ein Platzhalter.«
Carter sah verdutzt aus. Doch mit einem Mal flackerte in seinen Augen ein kleines Licht auf – ein winziges Stück Hoffnung. »Dann … ist die echte Zia am Leben?«
»Iskander hat sie beschützt«, erklärte ich. »Als sich der Geist von Nephthys in London mit der echten Zia verband, wusste Iskander, dass sie in Gefahr war. Er brachte sie in ein Versteck und ersetzte sie durch einen Uschebti. Weißt du noch, wie Thot gesagt hat: ›Uschebti geben super Doppelgänger ab‹? Genau das war sie, ein Doppelgänger. Und Nephthys hat mir gesagt, dass sie irgendwo Schutz in einem schlafenden Gastkörper gefunden hat.«
»Aber wo –?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. In Carters momentanem Zustand traute ich mich nicht, die entscheidende Frage zu stellen: Wenn Zia die ganze Zeit ein Uschebti gewesen war, wussten wir dann überhaupt etwas über sie? Die richtige Zia hatten wir nie kennengelernt. Sie hatte nie herausgefunden, was für ein erstaunliches Mädchen ich war. Wer weiß, möglicherweise mochte sie Carter überhaupt nicht.
Carter berührte ihr Gesicht, es zerfiel zu Staub. Er nahm ihr Zaubermesser, das nach wie vor aus
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