Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
sonstige Geräusche?“, mischte sich Hetzel ein.
„Nein, ich bin früh zu Bett gegangen, so gegen neun. Ich hatte in der Nacht zuvor kaum geschlafen. Da ich extrem lärmempfindlich bin, nehme ich Ohrstöpsel, damit ich nicht aufwache, wenn mein Mann spät nach Hause kommt.“
„Ihr Mann war schon lange in der Politik?“
Die Witwe nickte. „Dreißig Jahre, zuerst im Kreistag, dann hat ihn Alfred Bitter, damals Vorsitzender der Bürgerpartei, in den Landtag geholt. Das war vor zwanzig Jahren. Ich erinnere mich noch genau daran, weil unser Sohn im selben Jahr Abitur gemacht hat.“
„Ein sehr schönes Haus“, lobte Hetzel und meinte es sogar ehrlich.
Sie lächelte leicht. „Der Vorbesitzer musste es aufgeben. Seine Firma ging in Konkurs.“
„Ihr Gatte hatte bestimmt einen Zweitjob neben der Abgeordnetentätigkeit?“, fasste er mit einem bedeutungsvollen Blick in Verenas Richtung nach. Selbst wenn Landtagsabgeordnete nicht zu den Geringverdienern gehörten, war ein solches Anwesen mit Abgeordnetenbezügen nicht zu finanzieren.
Die Witwe zögerte. „Nein, wieso? Sein politisches Mandat hat ihn voll ausgelastet.“
Hetzel setzte zu einem Kommentar an, als Frau Wächter eine Erklärung nachschob. „Mein Mann war im Aufsichtsrat der Baumgart Holding AG. Aber Zweitjob würde ich das nicht nennen. Da war nicht viel zu tun, zwei oder drei Sitzungen im Jahr.“
Damit ist die Frage des Reichtums wohl geklärt, dachte Verena.
„Wurde Ihr Gatte bedroht? Hatte er Feinde?“, erkundigte sie sich.
Ein entschiedenes Kopfschütteln und ein klares „Nein“ waren die Antwort. Dann fügte sie hinzu: „Nun ja, natürlich gab es hie und da Ärger. Etwa mit der Seniorenvereinigung der Partei. Mein Mann war ihr Vorsitzender. Nichts Dramatisches, in meinen Augen Kinderkram.“ Während sie die Worte aussprach, zog sie ihre Augenbrauen hoch, eine Geste der Verachtung.
„Sie haben also keine Vorstellung, wer Ihren Mann erstochen haben könnte, Frau Wächter?“
Auch diese Frage wurde mit einem Kopfschütteln beantwortet.
Erneut ging Hetzel dazwischen. „Politiker geraten schnell unter Beschuss. Eurokrise, Abgabenerhöhungen, Atommüll, Massentierhaltung. Da kocht die Volksseele.“
Die Witwe runzelte ihre fast faltenfreie Stirn. „Tobias war nie an vorderster Front. Er bevorzugte das Agieren aus der zweiten Reihe.“
„Was ist mit Freunden, die uns weiterhelfen können?“, wollte Verena wissen.
Ihre Frage brachte die Witwe in Verlegenheit. „Freunde? Ähm … Freunde hatte er keine.“ Dann runzelte sie die Stirn. „Doch, einer fällt mir ein … Albi. Alfred Bitter war sein Freund. Sein einziger. Sein plötzlicher Tod ist Tobias sehr nahegegangen.“
„Weitere Freunde hatte er nicht? Aus der Schulzeit vielleicht?“
Man merkte der Witwe an, dass sie angestrengt nachdachte. „Nein. Tobias war ein sehr beschäftigter Mann. Der Vorsitz der Seniorenvereinigung kostete viel Zeit. Außerdem hatte er ja sein Abgeordnetenmandat und war, wie gesagt, im Aufsichtsrat der Baumgart Holding.“
Verena warf ihrem Kollegen einen warnenden Blick zu. An Baumgart hatte sie sich schon zweimal die Finger verbrannt. Ein drittes Mal sollte das nicht passieren. „Dann hatte Ihr Mann sicher häufiger mit Herrn Baumgart zu tun?“ Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, obwohl es in ihr brodelte. Der dritte Mordfall in der Politik und schon wieder war der Name des Großinvestors im Spiel.
Die Witwe reagierte merkwürdig angespannt. Sie streckte ihren Rücken und zog die Schultern herunter, als ob sie sich gegen eine Last wappnen wollte. „Gelegentlich haben sie sich gesehen, auch miteinander telefoniert. Einzelheiten weiß ich nicht. Um die Geschäfte meines Mannes habe ich mich nicht gekümmert. Ich habe meine eigenen Interessen: die Malerei und Yoga. Außerdem bin ich Mitglied bei den Landfrauen.“
Verena hatte das Gefühl, dass Frau Wächter etwas vor ihr verbarg. Seitdem der Name Baumgart gefallen war, war eine merkwürdige Veränderung in der Witwe vorgegangen. Hatte sie die Beziehung ihres Mannes zu dem Großinvestor nicht gutgeheißen? „Sie wissen also nicht, worum es bei seinen Kontakten zu Herrn Baumgart ging?“
Die Augen der Frau blitzten. Sie war wütend, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. Ihre Stimme klang missbilligend. „Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen? Die Geschäfte meines Mannes haben mich nicht interessiert! Fragen Sie Herrn Baumgart, wenn Sie es unbedingt wissen
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