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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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ein großer Mann.› Jetzt bin ich es. Er hat recht behalten.«
    Chojnicki begann jetzt, unverständliches Zeug zu reden. Er verlangte seinen Strumpf. Er strickte, seitdem er im Irrenhaus war, mit unermüdlichem Eifer. »Ich stricke die Monarchie«, sagte er von Zeit zu Zeit. Als ich den Versuch machte, mich von ihm zu verabschieden, sagte er: »Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.« – »Ich heiße Trotta«, sagte ich. – »Trotta«, erwiderte er, »war der Held von Solferino. Er hat dem Kaiser Franz Joseph das Leben gerettet. Der Trotta ist schon lange tot. Mir scheint, Sie sind ein Schwindler.« An dem gleichen Tage erfuhr ich auch, weshalb meine Frau so lange und so oft vom Hause wegblieb, warum sie unser Kind allein ließ und meine arme gelähmte Mutter. Als ich nämlich nach Hause kam, traf ich dort die beiden einzigen Menschen, die ich wirklich haßte: die Frau Professor Jolanth Szatmary und den Herrn Kurt von Stettenheim.
    Es stellte sich heraus, daß sie schon seit Wochen wieder in Wien waren. Es stellte sich heraus, daß sie das Kunstgewerbe aufgegeben hatten. Sie waren nunmehr ganz dem Film hingegeben; Alexander Rabinowitsch – »der bekannte Rabinowitsch, Sie kennen ihn nicht?« –, erzählte der Herr von Stettenheim, hatte eine »Firma« in Wien gegründet; wieder einmal eine Firma! Es stellte sich heraus, daß Elisabeth absolut keine Mutter bleiben wollte: sie wollte unbedingt eine Schauspielerin werden. Der Film rief sie, und sie fühlte sich zum Film berufen. Eines Tages verschwand sie auch, und sie hinterließ mir den folgenden Brief:
»Mein lieber Mann, Deine Mutter haßt mich, und Du liebst mich nicht. Ich fühle mich berufen. Ich folge Jolanth und Stettenheim. Verzeih mir. Der Ruf der Kunst ist mächtig. – Elisabeth«
    Diesen Brief zeigte ich meiner gelähmten Mutter. Sie las ihn zweimal. Dann nahm sie meinen Kopf mit ihrer noch gesunden linken Hand und sagte: »Bub! – B-b-bub!« sagte sie. Es war, als gratulierte sie mir und als bedauerte sie mich gleichzeitig.
    Wer weiß, wieviel Kluges sie gesagt hätte, wenn sie nicht gelähmt gewesen wäre.
    Mein Kind hatte keine Mutter mehr. Die Mutter meines Kindes war in Hollywood, eine Schauspielerin. Die Großmutter meines Sohnes war eine gelähmte Frau.
    Sie starb im Februar.

XXXIII
    In den ersten Tagen des Monats Februar starb meine Mutter. Sie starb so, wie sie gelebt hatte: nobel und still. Dem Priester, der gekommen war, um ihr die letzte Ölung zu geben, sagte sie: »Machen Sie schnell, Hochwürden! Der liebe Gott hat nicht so viel Zeit, wie die Kirche sich zuweilen einbildet.« Der Priester machte es in der Tat sehr schnell. Dann ließ meine Mutter mich kommen. Sie lallte nicht mehr. Sie sprach geläufig wie in alten Zeiten, als wäre ihre Zunge niemals gelähmt gewesen. – »Wenn du jemals Elisabeth wiedersiehst«, so sagte sie zu mir, »aber ich glaube, es wird nicht passieren, so sage ihr, daß ich sie niemals habe leiden mögen. Ich sterbe, aber ich halte nichts von jenen frommen Menschen, die im Sterben lügen und edelmütig werden. Jetzt bring mir deinen Sohn, damit ich ihn noch einmal sehe.« Ich ging hinunter, ich brachte meinen Sohn, groß und ziemlich schwer war er schon, ich freute mich über sein Gewicht, wie ich ihn so die Stufen hinauftrug. Meine Mutter umarmte, küßte ihn und gab ihn mir zurück.
    »Schick ihn weg«, sagte sie, »weit fort! Hier soll er nicht aufwachsen. Geh weg!« fügte sie hinzu, »ich will allein sterben.« Sie starb noch in der gleichen Nacht, es war die Nacht der Revolution. Die Schüsse knallten durch die nächtliche Stadt, und Chojnicki erzählte uns beim Abendessen, daß die Regierung auf die Arbeiter schieße. – »Dieser Dollfuß«, so sagte Chojnicki, »will das Proletariat umbringen. Gott strafe mich nicht: ich kann ihn nicht leiden. Es liegt in seiner Natur, sich selbst zu begraben. Das hat die Welt noch nicht gesehen!...« Als meine Mutter begraben wurde, am Zentralfriedhof, zweites Tor, schoß man immer noch in der Stadt. Alle meine Freunde, das heißt alle unsere Pensionäre, begleiteten meine Mutter und mich. Es hagelte, genauso wie in jener Nacht, in der ich heimgekehrt war. Es war der gleiche böse, körnige Regen.
    Wir begruben meine Mutter um zehn Uhr vormittags.
    Als wir aus dem zweiten Tor des Zentralfriedhofs hinaustraten, erblickte ich Manes Reisiger. Hinter einem Sarg schritt er einher, und ohne ihn zu fragen, gesellte ich mich zu ihm. Zum dritten Tor führte man den Sarg,

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