Die Kapuzinergruft
bekommen.
Insbesondere deshalb überraschte mich der Schrecken, der bei der Ankunft des seltsam gestiefelten Mannes und seiner seltsamen Verkündung alle meine Freunde ergriff. Wir hatten, alle zusammen, kaum drei Tische eingenommen. Einen Augenblick später blieb ich, nein, fand ich mich allein. Ich fand mich tatsächlich allein, und es war mir einen Augenblick so, als ob ich mich tatsächlich lange selbst gesucht und mich selbst überraschend allein gefunden hätte. Alle meine Freunde standen nämlich von ihren Sitzen auf, und statt, wie es zwischen uns seit Jahren üblich gewesen war, mir vorher »Gute Nacht!« zu sagen, riefen sie: »Ober, zahlen!« Aber da unser Ober Franz nicht kam, riefen sie dem jüdischen Cafétier Adolf Feldmann zu: »Wir zahlen morgen!« – und sie gingen, ohne mich noch einmal anzusehen.
Immer noch glaubte ich, sie kämen wirklich morgen, um zu zahlen, und der Ober Franz sei im Augenblick in der Küche oder sonst irgendwo aufgehalten und einfach deshalb nicht so prompt wie gewöhnlich erschienen. Nach zehn Minuten aber kam der Cafétier Adolf Feldmann hinter seiner Theke hervor, im Überrock und einen steifen Hut auf dem Kopf, und sagte mir: »Herr Baron, wir nehmen Abschied für immer. Wenn wir uns einmal irgendwo in der Welt wiedersehen sollten, werden wir einander erkennen. Morgen kommen Sie bestimmt nicht mehr her. Wegen der neuen deutschen Volksregierung nämlich. Gehen Sie heim, oder gedenken Sie hier sitzen zu bleiben?«
»Ich bleibe hier, wie alle Nächte«, antwortete ich.
»Dann leben Sie wohl, Herr Baron! Ich lösche die Lampen aus! Hier sind zwei Kerzen!«
Und damit zündete er zwei bleiche Kerzen an, und ehe ich mir noch von meinem Eindruck, er hätte mir Totenkerzen angezündet, eine Rechenschaft geben konnte, waren alle Lichter im Café erloschen, und blaß, mit einem schwarzen, steifen Hut auf dem Kopf, ein Totengräber eher als der joviale, silberbärtige Jude Adolf Feldmann, übergab er mir ein wuchtiges Hakenkreuz aus Blei und sagte:
»Für alle Fälle, Herr Baron! Bleiben Sie ruhig bei Ihrem Schnaps! Ich lasse den Rollbalken zu. Und wenn Sie gehen wollen, können Sie ihn von innen aufmachen. Die Stange steht rechts neben der Tür.«
»Ich möchte zahlen«, sagte ich.
»Dafür ist heute keine Zeit!« erwiderte er.
Und schon war er verschwunden, und schon hörte ich vor der Tür den Rollbalken niederrollen.
Ich fand mich also allein am Tisch, vor den zwei Kerzen. Sie klebten am falschen Marmor, und sie erinnerten mich an eine Art weißer, aufrechter, angezündeter Würmer. Ich erwartete jeden Augenblick, daß sie sich bögen, wie es Würmern eigentlich geziemt.
Da es mir unheimlich zu werden begann, rief ich: »Franz, zahlen!« wie sonst an jedem Abend.
Aber nicht der Ober Franz kam, sondern der Wachhund, der ebenfalls Franz hieß und den ich eigentlich nie hatte leiden mögen. Er war von sandgelber Farbe und hatte triefende Augen und einen schleimigen Mund. Ich liebe Tiere nicht und noch weniger jene Menschen, die Tiere lieben. Es schien mir mein Lebtag, daß die Menschen, die Tiere lieben, einen Teil der Liebe den Menschen entziehen, und besonders gerechtfertigt erschien mir meine Anschauung, als ich zufällig erfuhr, daß die Deutschen aus dem Dritten Reich Wolfshunde lieben, die deutschen Schäferhunde. »Arme Schafe!« sagte ich mir da.
Nun aber kam der Hund Franz zu mir. Obwohl ich sein Feind war, rieb er sein Gesicht an meinem Knie und bat mich gleichsam um Pardon. Und die Kerzen brannten, die Totenkerzen, meine Totenkerzen! Und von der Peterskirche kamen keine Glocken. Und ich habe nie eine Uhr bei mir, und ich wußte nicht, wie spät es war.
»Franz, zahlen!« sagte ich zum Hund, und er stieg auf meinen Schoß.
Ich nahm ein Stückchen Zucker und reichte es ihm.
Er nahm es nicht. Er winselte nur. Und hierauf leckte er mir die Hand, der er das Geschenk nicht abgenommen hatte.
Jetzt blies ich eine Kerze aus. Die andere löste ich vom falschen Marmor los und ging zur Tür und stieß mit der Stange den Rollbalken von innen auf.
Eigentlich wollte ich dem Hund entgehen und seiner Liebe. Als ich auf die Straße trat, die Stange in der Hand, um den Rollbalken wieder hinunterzuziehen, sah ich, daß mich der Hund Franz nicht verlassen hatte. Er folgte mir. Er konnte nicht bleiben. Es war ein alter Hund. Mindestens zehn Jahre hatte er dem Café Lindhammer gedient, wie ich dem Kaiser Franz Joseph; und jetzt konnte er nicht mehr. Jetzt konnten wir beide
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