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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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betrachten! Ich war lange schon ein vom Tode auf unbeschränkte Zeit Beurlaubter! Und er, der Tod, konnte jede Sekunde meinen Urlaub unterbrechen. Was gingen mich noch die Dinge dieser Welt an?...
    Dennoch bekümmerten sie mich, und besonders an jenem Freitag. Es war, als ginge es darum, ob ich, ein vom Leben Pensionierter, meine Pension in Ruhe weiterverzehren sollte, wie bis jetzt, in einer verbitterten Ruhe; oder ob mir auch noch die genommen würde, diese arme, verbitterte Ruhe, man könnte sagen: der Verzicht, den ich mir angewöhnt hatte, eine Ruhe zu nennen. Dermaßen, daß oft in den letzten Jahren, wenn dieser oder jener meiner Freunde zu mir kam, um mir zu sagen, jetzt sei endlich die Stunde da, in der ich mich um die Geschichte des Landes zu kümmern hätte, ich zwar den üblichen Satz sagte: »Ich will meine Ruh' haben!« – aber genau wußte, daß ich eigentlich hätte sagen sollen: »Ich will meinen Verzicht haben!« Meinen lieben Verzicht! Auch der ist nun dahin! Nachgefolgt ist er meinen unerfüllt gebliebenen Wünschen...
    Ich setzte mich also ins Café, und während meine Freunde an meinem Tisch immer noch von ihren privaten Angelegenheiten sprachen, empfand ich, der ich durch ein ebenso unerbittliches wie gnädiges Schicksal jede Möglichkeit eines privaten Interesses ausgeschaltet sah, nur noch das allgemeine, das mich zeit meines Lebens so wenig anging und dem ich zeit meines Lebens auszuweichen pflegte ...
    Ich hatte schon wochenlang keine Zeitungen mehr gelesen, und die Reden meiner Freunde, die von den Zeitungen zu leben, ja geradezu von Nachrichten und Gerüchten am Leben erhalten zu sein schienen, rauschten ohne jede Wirkung an meinem Ohr vorbei, wie die Wellen der Donau, wenn ich manchmal am Franz-Josephs-Kai saß oder auf der Elisabeth-Promenade. Ich war ausgeschaltet; ausgeschaltet war ich. Ausgeschaltet unter den Lebendigen bedeutet so etwas Ähnliches wie exterritorial. Ein Exterritorialer war ich eben unter den Lebenden. Und auch die Aufregung meiner Freunde, selbst an diesem Freitag abend, schien mir überflüssig; bis zu jener Sekunde, da die Tür des Cafés aufgerissen wurde und ein seltsam bekleideter junger Mann an der Schwelle erschien. Er trug nämlich schwarze Ledergamaschen, ein weißes Hemd und eine Art von Militärmütze, die mich gleichzeitig an eine Bettschüssel und an eine Karikatur unserer alten österreichischen Kappen erinnerte; kurz und gut: nicht einmal an eine preußische Kopfbedeckung. (Denn die Preußen tragen auf ihren Köpfen keine Hüte und keine Kappen, sondern Bedeckungen.) Ich war, ferne der Welt und der Hölle, die sie für mich darstellte, keineswegs geeignet, die neuen Mützen und Uniformen zu unterscheiden, geschweige denn, sie zu erkennen. Es mochte weiße, blaue, grüne und rote Hemden geben; Hosen, schwarz, braun, grün, blau lackiert; Stiefel und Sporen, Leder und Riemen und Gürtel und Dolche in Scheiden jeder Art: Ich jedenfalls, ich hatte für mich beschlossen, seit langem schon, seit der Heimkehr aus dem Kriege schon, sie nicht zu unterscheiden und sie nicht zu erkennen. Daher also war ich zuerst mehr als meine Freunde über die Erscheinung dieser Gestalt überrascht, die, wie aus der im Souterrain gelegenen Toilette emporgestiegen, dennoch aber durch die Straßentür hereingekommen war. Ein paar Augenblicke lang hatte ich tatsächlich geglaubt, die mir wohlbekannte, im Souterrain gelegene Toilette läge plötzlich draußen, und einer der Männer, die sie bedienten, wäre eingetreten, um uns zu verkünden, daß alle Plätze bereits besetzt seien. Aber der Mann sagte: »Volksgenossen! Die Regierung ist gestürzt. Eine neue deutsche Volksregierung ist vorhanden!« Seitdem ich aus dem Weltkrieg heimgekehrt war, in ein verrunzeltes Vaterland heimgekehrt war, hatte ich niemals den Glauben an eine Regierung aufgebracht; geschweige denn: an eine Volksregierung. Ich gehöre heute noch – kurz vor meiner wahrscheinlich letzten Stunde darf ich, ein Mensch, die Wahrheit sagen – einer offenbar versunkenen Welt an, in der es selbstverständlich schien, daß ein Volk regiert werde und daß es also, wollte es nicht aufhören, Volk zu sein, sich nicht selber regieren könne. In meinen tauben Ohren – ich hatte oft gehört, daß sie »reaktionär« geheißen werden – klang es so, als hätte mir eine geliebte Frau gesagt, sie brauchte mich keineswegs, sie könnte mit sich selbst schlafen und müßte es sogar, und zwar einzig zu dem Zweck, um ein Kind zu

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