Die Kartause von Parma
durfte, er werde wieder auf die Liebesgeschichte des kleinen Bürgermädchens kommen, Gonzo war ein Meister in jener italienischen Feinheit, mit Hochgenuß das Wort hinauszuschieben, auf das man gespannt ist. Der arme Marchese verging vor Neugier und mußte seine Zuflucht zu Schmeicheleien nehmen. Er sagte ihm, wenn er das Vergnügen habe, mit ihm zu speisen, dann äße er immer doppelt soviel. Gonzo verstand das nicht und beganneine Schilderung der herrlichen Gemäldegalerie, die sich die Marchesa Balbi, die Mätresse des hochseligen Fürsten, anlegte. Drei- oder viermal sprach er von Hayez im feierlichen Ton der höchsten Begeisterung. >Ausgezeichnet!< sagte sich der Marchese. >Jetzt kommt er endlich auf das im Auftrag der kleinen Marini gemalte Bildnis!< Aber Gonzo hütete sich, das zu tun. Es schlug fünf Uhr, was den Marchese sehr mißlaunig machte, denn er hatte die Gewohnheit, sich um halb sechs Uhr, nach seiner Siesta, in den Wagen zu setzen und auf den Korso zu fahren.
»Das sieht Ihnen ähnlich in Ihrem Unverstand!« sagte er grob zu Gonzo. »Sie sind schuld daran,wenn ich heute nach Ihrer Hoheit auf den Korso komme, ich, Allerhöchstdero Kammerherr, wo sie vielleicht Befehle für mich hat! Vorwärts! Schießen Sie los! Sagen Sie mir kurz und bündig, wenn Sie imstande sind: was ist das mit der angeblichen Liebschaft des Monsignore del Dongo?«
Aber Gonzo wollte die ganze Geschichte für die Ohren der Marchesa aufsparen, die ihn zum Mittagessen eingeladen hatte. Er begnügte sich, die Sache im Depeschenstil anzudeuten, und der halb eingeschlafene Marchese holte schleunigst seine Siesta nach.
Ganz anders verfuhr er vor der Marchesa. Sie war bei all ihrem Reichtum so jugendlich treuherzig geblieben, daß sie glaubte, sie müsse die Grobheit wieder gut machen, mit der der Marchese soeben den Gast angefahren hatte. Entzückt über seinen Erfolg, gewann Gonzo seine ganze Beredsamkeit wieder, und es war ihm ein Vergnügen und zugleich eine Pflicht, die Marchesa in endlose Einzelheiten einzuweihen.
Die kleine Annetta Marini zahlte bis zu einer Zechine für den Platz, den man ihr zur Predigt frei hielt. Immer kam sie mit zwei Tanten und dem ehemaligen Buchhalter ihres Vaters. Ihre Plätze, die sie bereits am Tage vorher belegen ließ, waren zumeist gerade schrägüber der Kanzel gewählt, aber ein wenig nach dem Hochaltar zu, denn siehatte bemerkt, daß sich der Koadjutor öfters dem Altar zuwandte. Nun aber hatte das Publikum seinerseits bemerkt, daß die ausdrucksvollen Blicke des jungen Kanzelredners nicht selten mit Wohlgefallen auf der jungen Erbin und so verführerischen Schönheit verweilten. Der Hörerschaft war dies nicht unwichtig; denn sobald er zu ihr hinsah, ward seine Predigt gelehrt. Die Zitate nahmen dann überhand; man fand keine Herzenswallungen mehr, und die Damen, deren Andacht alsbald aufhörte, begannen der Marini Blicke zuzuwerfen und ihr Übles anzuhängen.
Clelia ließ sich alle diese merkwürdigen Einzelheiten mehrfach wiederholen. Beim dritten Male wurde sie nachdenklich. Sie rechnete sich aus, daß sie Fabrizzio genau vierzehn Monate nicht gesehen hatte. ›Wäre es denn eine große Sünde,‹ fragte sie sich, ›wenn ich eine Stunde in der Kirche verbrächte, nicht um Fabrizzio zu sehen, sondern um einen berühmten Prediger zu hören? Übrigens werde ich mich weit weg von der Kanzel setzen und Fabrizzio nur einmal ansehen, wenn er kommt, und ein zweites Mal am Ende der Predigt. – Nein,‹ sagte sich Clelia, ›nicht Fabrizzio ist es, den ich sehen will; ich will den erstaunlichen Redner hören!‹ Mitten in diesen Überlegungen bekam Clelia Gewissensbisse. Ihr Lebenswandel war seit vierzehn Monaten so brav! ›Gut,‹ sagte sie bei sich, um etwas inneren Frieden zu finden, ›wenn die erste Dame, die mich heute abend aufsucht, Monsignore del Dongo hat predigen hören, dann werde ich auch hingehen; hat sie ihn nicht gehört, dann werde ich es auch lassen.‹
Nachdem sie einmal diesen Entschluß gefaßt hatte, beglückte sie Gonzo, indem sie zu ihm sagte: »Erkundigen Sie sich einmal, an welchem Tage der Koadjutor wieder predigen wird und in welcher Kirche. Und heute abend, ehe Sie fortgehen, habe ich vielleicht einen Auftrag für Sie.«
Kaum war Gonzo nach dem Korso aufgebrochen, alsClelia in ihren Garten ging, um Luft zu schöpfen. Sie dachte nicht daran, daß sie zehn Monate lang keinen Fuß hineingesetzt hatte. Sie war lebhaft und munter und hatte Farbe.
Abends pochte ihr
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