Die Kartause von Parma
Zeit zu Zeit irgendein hohes Tier zurief: »Schweigen Sie, Gonzo! Sie sind ein Schafskopf!« Dieses Urteil war natürlich ein Ausfluß schlechter Laune, denn Gonzo war viel gescheiter als der betreffende Würdenträger. Er wußte über jegliches Thema mit leidlicher Anmut zu plaudern; dabei war er immer bereit, auf einen Wink des Hausherrn seine Meinung zu ändern. Eigene Einfälle hatte er allerdings nicht, und wenn Serenissimus einmal keinen Rheumatismus hatte, so war er beim Betreten eines Salons bisweilen verlegen.
Was ihm in Parma besonders zu Ehre und Ansehen verholfen hatte, das war ein herrlicher Dreimaster, geschmückt mit einer schwarzen, ein wenig zerzausten Feder, den er immer trug, sogar zum Frack. Man mußte die Art und Weise sehen, wie Gonzo diese Feder trug, sei es auf dem Kopfe, sei es unterm Arm; darin lag sein Talent und seine Bedeutung. Mit wahrer Besorgnis erkundigte er sich nach dem Gesundheitszustand des kleinen Hundes der Marchesa Crescenzi. Wäre im Palazzo Crescenzi Feuer ausgebrochen, so hätte er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um einen der schönen Lehnstühle mit Goldbrokat zu retten, an dem er mit seinen schwarzen Seidenhosen seit so manchem Jahre immer hängen blieb, wenn er sich zufällig darauf zu setzen wagte.
Sieben oder acht solcher Typen erschienen allabendlich um sieben Uhr im Salon der Marchesa Crescenzi. Kaum hatten sie sich gesetzt, so nahm ein Diener in prächtiger quittengelber Tracht mit reichen Silbertressen und roter Weste diesen armen Rittern Hut und Stock ab. Unmittelbar hinterher kam ein Kammerdiener und reichte Mokka in winzigen Tassen auf silbernen Untersetzern aus Filigranarbeit,und alle halben Stunden erschien der Haushofmeister in Degen und französischem Galarock, um Gefrorenes anzubieten.
Eine halbe Stunde später als diese traurigen Männlein sah man fünf bis sechs Offiziere eintreten, die laut und schnarrend sprachen und sich über die Art und Zahl der Knöpfe unterhielten, die ein Soldat am Waffenrock haben muß, damit der Höchstkommandierende siegen kann. Es wäre unklug gewesen, in diesem Salon französische Zeitungen zu erwähnen, denn hätte die Neuigkeit noch soviel Spannendes gehabt – zum Beispiel, wenn man in Spanien fünfzig Liberale erschossen hatte –, der Erzähler wäre doch nur überführt gewesen, eine französische Zeitung gelesen zu haben. Die Betriebsamkeit aller dieser Leute gipfelte darin, alle zehn Jahre eine Pensionserhöhung um hundertfünfzig Franken zu erlangen. Auf diese Weise ließ Serenissimus den Adel an seiner genußreichen Herrschaft über die Bauern und Bürgerlichen teilnehmen.
Unbestritten die Hauptperson im Salon Crescenzi war der Cavaliere Foscarini, ein tadelloser Ehrenmann; hatte er doch unter allen Regimes ein bißchen im Gefängnis gesessen. Er war Mitglied jenes berüchtigten Parlaments in Mailand gewesen, das das von Napoleon eingebrachte Wehrpflichtgesetz durchfallen ließ, – ein in der Geschichte seltener Zug. Der Cavaliere war zwanzig Jahre lang Freund der Mutter des Marchese gewesen und als solcher ein einflußreicher Mann im Hause geblieben. Er wußte immer ein lustiges Geschichtchen zu erzählen, und nichts entging seinem Scharfsinn. Die junge Marchesa, die sich im Grunde ihres Herzens schuldig fühlte, zitterte vor ihm.
Da Gonzo eine wahre Vorliebe für den großen Herrn hatte, der ihm Grobheiten sagte und ihn ein- bis zweimal im Jahre bis zu Tränen kränkte, so war er darauf versessen, ihm allerhand kleine Dienste zu erweisen. Wenn ihn nicht die Gewohnheiten allzu großer Ärmlichkeit gehindert hätten, so hätte er es manchmal zu etwas bringenkönnen, denn er besaß einen gewissen Grad von Geschick und noch mehr Keckheit.
Nach alledem ist es nicht zu verwundern, daß er die Marchesa Crescenzi wenig schätzte. Sie hatte in ihrem Leben nie ein unhöfliches Wort an ihn gerichtet; aber schließlich war sie die Gattin des berühmten Marchese Crescenzi, des Kammerherrn der Großherzogin, der alle vierzehn Tage zu ihm sagte: »Schweig, Gonzo! Du bist ein Schafskopf!«
Gonzo beobachtete, daß die Marchesa allemal, wenn von der kleinen Annetta Marini gesprochen wurde, einen Augenblick den verträumten und gleichgültigen Zustand überwand, in dem sie verharrte, bis es elf Uhr schlug. Dann bereitete sie den Tee und bot ihn jedem Anwesenden, indem sie jeden beim Namen nannte. Nachher, gegen Ende der Abendgesellschaft, vermochte es sie etwas aufzuheitern, wenn man satirische Sonette vortrug.
Man versteht
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