Die Kartause von Parma
sie mit Giacomo Rassi, dem ältesten Sohne des Justizministers, verlobt. Er gefiel ihr ganz gut, aber kaum hatte sie Monsignore Fabrizzio zweimal predigen hören, da erklärte sie, sie wolle nicht mehr heiraten. Und als man sie nach dem Grunde ihrer sonderbaren Willenswandlung fragte, gab sie freimütig zur Antwort, da man nun doch einmal dieWahrheit entdeckt habe, wolle sie sich nicht durch eine Lüge erniedrigen. Da sie keine Hoffnung habe, fügte sie hinzu, den angebeteten Mann zu heiraten, wolle sie wenigstens seine Augen nicht durch den lächerlichen Anblick des Contino Rassi beleidigen. Diese schimpfliche Bemerkung über den Sohn eines Mannes, dem der Neid der ganzen Bürgerschaft galt, war zwei Tage später stadtbekannt. Die Antwort der Annetta Marini wurde allerliebst befunden und ging von Mund zu Mund. Man erzählte sich davon im Palazzo Crescenzi wie überall.
Clelia hütete sich, in ihrem Salon über dieses Thema irgend etwas zu äußern, aber sie erkundigte sich bei ihrer Kammerzofe, und am folgenden Sonntag, nachdem sie in ihrer Hauskapelle die Messe gehört hatte, mußte die Kammerzofe in ihrem Wagen spazieren fahren, während sie selbst eine zweite Messe in der Lieblingskirche der Signorina Marini besuchte. Sie traf dort die vornehme Welt der Stadt an, die der gleiche Grund hingelockt hatte; alle diese Herren warteten am Portal der Kirche. Sehr bald entstand eine große Unruhe unter ihnen; die Marchesa begriff, daß Signorina Marini die Kirche betrat. Clelia saß so, daß sie das Mädchen vorzüglich beobachten konnte, und trotz ihrer Frömmigkeit schenkte sie der Messe keine besondere Andacht. Clelia fand an dieser bürgerlichen Schönheit einen gewissermaßen energischen Zug, der ihrer Meinung nach nur einer seit Jahren verheirateten Frau zustand. Im übrigen war sie tadellos schlank gewachsen, und ihre Augen schienen mit den Dingen, die sie betrachtete, far la conversazione, wie man in der Lombardei zu sagen pflegt. Ehe die Messe zu Ende war, entfernte sich die Marchesa leise.
Schon am anderen Tage erzählten die Freunde des Hauses Crescenzi, die sich alle Abende einstellten, eine neue lächerliche Anekdote von Annetta. Ihre Mutter hielt sie aus Furcht, sie könne Torheiten begehen, knapp mit Geld. Um den Preis eines herrlichen Brillantringes, eines Geschenks ihres Vaters, hatte sie bei dem berühmten Hayez,der sich damals in Parma aufhielt, um die Fresken im Palazzo Crescenzi zu malen, ein Bildnis des Monsignore del Dongo bestellt. Auf diesem Bild sollte er in einfacher schwarzer Kleidung, nicht im Priesterrock, dargestellt sein. Gestern nun hatte die Mutter der kleinen Annetta zu ihrer großen Überraschung und ihrem noch größeren Ärger das Bildnis des Fabrizzio del Dongo im Schlafzimmer ihrer Tochter entdeckt, umschlossen vom schönsten Goldrahmen, der seit zwanzig Jahren in Parma hergestellt worden war.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Im Drange der Ereignisse haben wir vergessen, eine komische Sorte von Höflingen zu schildern, die am Hofe von Parma ihr Wesen trieb und über die berichteten Geschehnisse ihre witzigen Glossen machte. Was in Italien kleinen Edelleuten, die sich mit drei- bis viertausend Lire Rente durchschlagen, zu der Ehre verhalf, in schwarzen Strümpfen den Morgenempfängen der Fürsten beiwohnen zu dürfen, das war zunächst, daß sie im Leben nie eine Zeile von Voltaire oder Rousseau gelesen hatten. Diese Bedingung war unschwer zu erfüllen. Ferner mußten sie vom Rheumatismus Seiner Hoheit oder von der jüngsten Mineraliensendung, die er aus Sachsen geschickt bekommen hatte, gerührt zu sprechen verstehen. Fehlten sie obendrein keinen einzigen Tag im Jahre bei der Messe und hatten sie unter ihren Busenfreunden zwei oder drei fette Mönche, so geruhte Serenissimus alle Jahre einmal, vierzehn Tage vor oder nach Neujahr, das Wort an sie zu richten, was ihnen bei der Bürgerschaft hohes Ansehen verschaffte; der Steuereinnehmer war dann auch nicht allzusehr hinter ihnen her, wenn sie mit der jährlichen Steuer von hundert Franken, mit der ihre kleinen Einkünfte belegt waren, im Rückstand blieben.
So ein armer Schlucker von echtem Uradel war HerrGonzo, der als Zulage zu seinem recht ärmlichen Besitz durch die Fürsprache des Marchese Crescenzi einen großartigen Posten erhalten hatte: sein Jahreseinkommen betrug elfhundertundfünfzig Franken. Dieser Mann hätte zu Hause essen können, aber er hatte eine Leidenschaft: es war ihm nicht wohl und behaglich, wenn ihm nicht von
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