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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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prigioni‹ (Meine Gefängnisse) ist 1833 erschienen.] und Andryane so berühmt geworden ist, war nicht eigentlich grausam. Sie waltete verstandesgemäß und mitleidslos nach strengem Gesetz. Kaiser Franz II. wollte die kühne italienische Phantasie durch Schrecken lähmen.
    »Geben Sie mir«, wiederholte der Baron Binder Fabrizzios Gönnern, »einen nachweisbaren Bericht, was derjunge Marchesino del Dongo Tag für Tag getan hat. Verfolgen wir ihn vom Augenblick seiner Abreise aus Grianta, vom 8. März, bis zu seiner Ankunft gestern abend hier in der Stadt, wo er sich in der Wohnung seiner Mutter verborgen hält, und ich bin bereit, ihn als den liebenswürdigsten, wenn auch übermütigsten jungen Mann in Mailand zu behandeln. Wenn Sie mir aber den Reiseweg des jungen Mannes seit seiner Abreise aus Grianta nicht Tag für Tag angeben können, ist es dann nicht meine Pflicht, ihn trotz seiner vornehmen Geburt und trotz aller Hochachtung vor den Freunden seiner Familie verhaften zu lassen? Muß ich ihn nicht in Haft behalten, bis er mir den Beweis liefert, daß er Napoleon keine Vorschläge überbracht hat von einigen Unzufriedenen, die in der Lombardei unter den Untertanen Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät sein können? Beachten Sie fernerhin, meine Herren, wenn es dem jungen del Dongo gelänge, sich in diesem Punkte zu rechtfertigen, so bliebe er immerhin schuldig, ohne vorschriftsmäßig ausgestellten Paß ins Ausland gegangen zu sein, mehr noch, unter falschem Namen und indem er sich wissentlich eines Passes bediente, der einem einfachen Handwerker ausgestellt war, also einer Person, die tief unter der Klasse steht, der er angehört.«
    Diese erbarmungslos logische Erklärung wurde mit allen Zeichen der Ergebenheit und Hochachtung gegeben, die das Polizeioberhaupt der hohen Stellung der Marchesa del Dongo und den angesehenen Persönlichkeiten schuldete, die gekommen waren, sich für sie ins Mittel zu legen.
    Die Marchesa war in Verzweiflung, als sie die Antwort des Barons Binder erfuhr.
    »Fabrizzio wird verhaftet werden,« rief sie weinend, »und wenn er einmal im Gefängnis ist, weiß Gott, wann er wieder herauskommt. Sein Vater wird ihn verleugnen.«
    Die Pietranera und ihre Schwägerin hielten mit zwei oderdrei vertrauten Freunden Rat, und was sie auch sagen mochten, die Marchesa wollte ihren Sohn durchaus sofort abreisen lassen.
    »Aber du siehst doch,« sagte die Gräfin zu ihr, »daß der Baron Binder weiß, daß dein Sohn hier ist. Dieser Mann ist keineswegs bösartig.«
    »Nein, aber er will sich beim Kaiser Franz beliebt machen.«
    »Aber wenn er es für seine Laufbahn nützlich hielte, Fabrizzio ins Gefängnis zu werfen, so wäre er längst drin. Es hieße ihm ein beleidigendes Mißtrauen bezeigen, wenn man ihn flüchten ließe.«
    »Aber uns eingestehen, daß er weiß, wo Fabrizzio ist, heißt uns sagen: ›Laßt ihn fliehen!‹ Nein, ich kann nicht aufatmen, solange ich mir wiederholen muß: In einer Viertelstunde kann mein Sohn zwischen vier Kerkermauern sitzen! Wie es auch mit Baron Binders Ehrgeiz stehen mag,« fuhr die Marchesa fort, »es dünkt ihn vorteilhaft für seine persönliche Stellung hierzulande, einem Mann vom Range meines Gatten gegenüber Zurückhaltung zur Schau zu tragen, und ich sehe den Beweis dafür in dieser sonderbaren Offenherzigkeit, mit der er bekennt, er wisse, wo mein Sohn zu fassen sei. Noch mehr: der Baron erläutert freundlichst die beiden Übertretungen, deren Fabrizzio durch die Anzeige seines würdelosen Bruders beschuldigt ist. Er weist darauf hin, daß beide Übertretungen Gefängnisstrafen nach sich ziehen. Heißt das alles nicht: Wenn wir die Verbannung vorziehen, so steht die Wahl bei uns?«
    »Wenn du die Verbannung wählst,« wiederholte die Gräfin immer wieder, »werden wir ihn im Leben nicht wiedersehen.«
    Fabrizzio war bei der ganzen Unterhaltung zugegen, ebenso ein alter Freund der Marchesa, jetzt Rat an dem von den Österreichern eingesetzten Gerichtshof. Fabrizzio war durchaus dafür, sich aus dem Staube zu machen; und in der Tat verließ er am Abend den Palast, in demWagen versteckt, mit dem seine Mutter und seine Tante zur Scala fuhren. Der Kutscher, dem man mißtraute, kehrte wie gewöhnlich in einem Wirtshaus ein, und während der Diener, ein zuverlässiger Mann, die Pferde bewachte, schlüpfte Fabrizzio, als Bauer verkleidet, aus dem Wagen und verließ die Stadt. Am nächsten Morgen kam er mit gleichem Glück über die Grenze, und einige

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