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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Augenblick, da dieses ärmliche Zimmer wieder leer ist von der himmlischen Erscheinung, die in der Geschichte meines Daseins ein großes Erlebnis bedeutet!«
    »Sie müssen zum Baron Binder gehen und ihm sagen, daß Sie Fabrizzio von der Wiege an liebten, daß Sie zur Zeit seiner Geburt in unserem Hause verkehrt hätten. Bitten Sie ihn, er möge aus Freundschaft für Sie alle seine Spione in Bewegung setzen, um klarzustellen, ob Fabrizzio vor seiner Abreise nach der Schweiz irgendwie in Verbindung mit einem jener Liberalen gestanden hat, die er überwachen läßt. Wenn der Baron nur im geringsten gut bedient wird, so muß er sehen, daß es sich hier lediglich um eine echte Jugendeselei handelt. Wie Sie wissen, hatte ich in meiner schönen Wohnung im Palazzo Dugnani Stiche von den siegreichen Schlachten Napoleons. An den Unterschriften dieser Stiche hat mein Neffe dasLesen gelernt. Von seinem fünften Jahre an wurden ihm von meinem armen Mann jene Siege erklärt. Wir setzten ihm den Helm meines Mannes auf, und der Junge schlepte seinen langen Säbel. Dann, eines schönen Tages, erfährt er, daß der Abgott meines Mannes, daß der Kaiser nach Frankreich zurückgekehrt ist. Er will zu ihm in seiner jugendlichen Unbesonnenheit, aber es gelingt ihm nicht. Fragen Sie Ihren Baron, mit welcher Strafe diese Torheit gesühnt werden soll!«
    »Ich habe etwas vergessen«, rief der Kanonikus. »Sie werden sehen, daß ich der Verzeihung, die Sie mir gewähren, nicht unwürdig bin. Hier,« sagte er, unter seinen Akten auf dem Schreibtisch suchend, »sehen Sie, ist die Denunziation jenes niederträchtigen Heuchlers, unterzeichnet mit Ascanio Valserra del Dongo. Damit hat die ganze Geschichte angefangen. Ich habe das Aktenstück gestern abend im Polizeiamt an mich genommen und bin in die Scala gegangen, in der Hoffnung, irgendeinem Freund Ihrer Loge zu begegnen, durch den ich es Ihnen hätte zustellen können. Eine Abschrift dieses Schreibens befindet sich schon längst in Wien. Da haben Sie den Feind, den wir bekämpfen müssen!«
    Der Kanonikus las die Anzeige zusammen mit der Gräfin durch, und man kam überein, daß ihr im Laufe des Tages durch eine sichere Person eine Abschrift davon zugehen sollte. Voller Freude kehrte die Gräfin in den Palazzo del Dongo zurück.
    »Unmöglich kann man mehr galantuomo sein als dieser ehemalige Bösewicht«, berichtete sie der Marchesa. »Wir werden heute abend in der Scala, wenn die Theateruhr drei Viertel elf zeigt, jedermann aus unserer Loge hinausschicken, die Lichter auslöschen und die Tür schließen. Um elf Uhr will der Kanonikus persönlich kommen und uns mitteilen, was er hat tun können. Auf diese Weise ist die Geschichte am wenigsten gefährlich für ihn.«
    Der Kanonikus war kein Dummkopf. Er hütete sich, das Stelldichein zu versäumen, und benahm sich dabei sovollendet liebenswürdig und wirklich offenherzig, wie man das nur in einem Lande findet, wo die Eitelkeit nicht der Gefühle höchstes ist. Daß er die Gräfin ihrem Manne, dem General Piettanera, verraten, hatte ihn beständig gepeinigt, und hier bot sich ein Mittel, es wieder gut zu machen.
    Er war von seiner Leidenschaft noch keineswegs geheilt; am Vormittag, als die Gräfin ihn verlassen, hatte er sich voll Bitternis gesagt: ›Sie hat mit ihrem Neffen ein Liebesverhältnis. Wie käme diese stolze Frau sonst in mein Haus? Beim Tode des armen Pietranera hat sie voller Abscheu meine Dienste zurückgewiesen, so höflich ich sie ihr durch den damaligen Oberst Scotti, einen früheren Verehrer von ihr, anbieten ließ. Die schöne Pietranera und mit fünfzehnhundert Franken auskommen!‹ sagte der Kanonikus, erregt auf und ab gehend. ›Und dann im Schloß Grianta mit einem abscheulichen Griesgram, diesem Marchese del Dongo, zusammen hausen! Jetzt wird mir alles klar! Warum auch nicht? Dieser junge Fabrizzio ist voll Geist und Anmut, groß, wohlgebaut, immer heiter, und mehr noch,‹ fuhr er bitter fort, ›in seinen Augen liegt süße Wollust. Er hat ein Correggio- Gesicht. Und der Unterschied im Alter ist nicht zu groß. Fabrizzio ist nach dem Einmarsch der Franzosen geboren, um 1798, wenn ich mich nicht irre. Die Gräfin mag sieben- oder achtundzwanzig sein. Hübscher, anbetungswürdiger zu sein, ist unmöglich. In diesem schönheitsreichen Lande kommt ihr keine gleich; die Marini, die Gherardi, die Ruga, die Arese, die Pietragrua, keine; sie überragt alle diese Frauen. Sie lebten in glücklicher Verborgenheit am schönen

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