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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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verzeihe mir meine Angst. Ich war ja auch entschlossen, meine Freiheit zu verteidigen, und alle vier hätten es nicht fertig bekommen, mich ins Gefängnis zu schleppen. – Was ich eben jetzt tue,‹ fügte er hinzu, ›ist nicht soldatisch. Statt schleunigst zu verschwinden, nachdem ich mein Vorhaben ausgeführt, freilich wohl auch meine Feinde aufgescheucht habe, vergnüge ich mich an einer Schwärmerei, die vielleicht lächerlicher ist als alle Weisungen des braven Abbaten.‹
    In der Tat, statt sich auf dem kürzesten Wege zu entfernen und das Gestade des Lago Maggiore zu erreichen, wo ihn seine Barke erwartete, machte er einen riesigen Umweg, um ›seinen Baum‹ zu besuchen. Der Leser erinnert sich vielleicht, wie sehr Fabrizzio einen Kastanienbaum liebte, den seine Mutter vor dreiundzwanzig Jahren gepflanzt hatte. ›Es sähe meinem Bruder ganz ähnlich,‹ sagte er sich, ›wenn er diesen Baum hätte fällen lassen. Aber Leute seines Schlages haben kein Gefühl für Feinheiten. Es wird ihm nicht eingefallen sein. Und wenn auch, es soll mir keine schlimme Vorbedeutung sein!‹ setzte er entschlossen hinzu.
    Zwei Stunden später war er höchst betroffen. Böswillige Hände oder ein Unwetter hatten einen der stärksten Äste des jungen Baumes gebrochen; er hing verdorrt herab.Fabrizzio schnitt ihn ehrfürchtig mit seinem Dolch ab und glättete die Bruchstelle sorgfältig, damit das Wasser nicht in den Stamm eindränge. So kostbar die Zeit für ihn war – der Tag brach bald an –, vertat er doch eine reichliche Stunde, um das Erdreich rings um den geliebten Baum zu lockern. Nach diesen Torheiten setzte er seinen Eilmarsch zum Lago Maggiore fort. Alles in allem war er durchaus nicht trübselig. Der Baum war prächtig gediehen, war kräftiger denn je und in den fünf Jahren beinahe doppelt so groß geworden. Der Astbruch war nur ein unbedeutender Unfall. Sachgemäß verschnitten, litt der Baum darunter nicht mehr; im Gegenteil, er war schlanker geworden und konnte sich mehr nach oben auslegen.
    Fabrizzio hatte noch keine Meile zurückgelegt, als sich im Osten von einem weiß schimmernden Lichtstreifen die Zacken des Resegone di Lecco, eines im Lande berühmten Gipfels, scharf abhoben. Die Straße, die er dahinschritt, füllte sich mit Landvolk, aber statt soldatisch zu denken, ließ sich Fabrizzio durch den erhabenen oder rührenden Anblick der Wälder um den Comer See bezaubern. ›Sie sind vielleicht die schönsten auf Erden; ich will nicht sagen, weil sie die meisten blanken Taler einbringen, wie man in der Schweiz sagen würde, sondern weil sie am meisten zur Seele sprechen.‹
    Daß Fabrizzio in seiner Lage, angesichts der Späheraugen der lombardo-venezianischen Gendarmen, solche Reden führte, war wirklich eine Kinderei. Endlich sagte er sich: ›Ich bin eine halbe Stunde von der Grenze entfernt; ich kann Zollbeamten und Gendarmen auf ihrem Morgengang begegnen. Mein guter Rock wird ihren Verdacht erregen; sie werden mich nach meinem Paß fragen, und dieser Paß weist buchstäblich einen Namen auf, der Gefängnis verheißt. Ich wäre also in der angenehmen Zwangslage, einen Mord zu begehen. Wenn die Gendarmen wie gewöhnlich zu zweien umherstreifen, kann ich schlechterdings mit meinem Schuß nicht warten, bis mich einer von beiden am Kragen gepackt hat. Wenner mich nur im Fallen einen Augenblick packt, sitze ich auf dem Spielberg.
    Fabrizzio durchrieselte ein Schaudern, besonders vor dem Zwang, zuerst schießen zu müssen und vielleicht gar auf einen ehemaligen Soldaten seines Onkels, des Grafen Pietranera. Eilends verbarg er sich in dem hohlen Stamm einer mächtigen Kastanie und setzte gerade neue Zündhütchen auf seine Pistolen, als er jemanden durch den Wald näher kommen hörte, der sehr hübsch eine köstliche Weise von Mercadante sang, der damals in der Lombardei beliebt war.
    ›Das ist ein gutes Zeichen‹, sagte sich Fabrizzio. Das Lied, dem er andächtig lauschte, nahm ihm den leichten Anflug von Zorn, der sich in seine Überlegungen zu mengen begann. Aufmerksam lugte er die Straße hinauf und hinab; er entdeckte niemanden. ›Der Sänger wird auf einem Querweg kommen‹, sagte er sich. Fast im nämlichen Augenblick sah er einen Diener in sehr feschem englischem Reitanzug gemächlich dahinreiten, an der Hand ein schönes Vollblutpferd, das vielleicht ein wenig zu mager war.
    ›Ach, wenn ich jetzt wie Mosca dächte,‹ sagte sich Fabrizzio, ›der mir tausendmal gesagt hat: die Gefahren, in denen

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