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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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strengen Mannes, den er nie geliebt hatte, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er zitterte, und ein plötzlicher Schauer durchrieselte seine Adern, als er seinen Vater zu erkennen wähnte, wie er über eine von Orangenbäumen eingefaßte Terrasse schritt, die sich vor seinem Schlafzimmer hinzog. Aber es war nur ein Kammerdiener. Mit einem Male sah er unter dem Turm eine Schar junger Mädchen in weißen Kleidern in verschiedenen Gruppen; sie waren dabei, rote, blaue und gelbe Blumen nach einem bestimmten Muster auf den Weg zu streuen, den die Prozession nehmen sollte. Aber schon sprach ein lebhafteres Schauspiel zu Fabrizzios Seele. Vom Turm aus schweiften seine Augen auf die beiden Arme des meilenlangen Sees; und dieser herrliche Anblick ließ ihn bald alles andere vergessen; er erweckte in ihm die hehrsten Empfindungen. Eine Flut von Erinnerungen aus seiner Kindheit drängte sich in seine Gedanken. Dieser Tag, den er in einem Glockenturm eingesperrt verbrachte, war vielleicht einer der glücklichsten seines Lebens.
    Das Glück hob ihn empor in eine seinem Wesen recht fremde Gedankenwelt. Er betrachtete das Leben, er, der noch so jung war, als ob er schon am Ziel seines Strebens angelangt sei. ›Ich muß gestehen,‹ sagte er sich schließlich nach stundenlanger köstlicher Träumerei, ›seit meiner Ankunft in Parma habe ich keine so ruhige und reine Freude gehabt wie in Neapel, wenn ich auf den Wegen des Vomero hingaloppierte oder am Gestade von Misenum wandelte. Die verwickelten Anliegen jenes boshaften kleinen Hofes haben mich boshaft gemacht. Ich habe gar keine Freude am Hassen; ich glaube sogar, es wäre für mich ein trübseliges Glück, meine Feinde, wenn ich welche hätte, zu demütigen. Aber ich habe keinen einzigen Feind... Halt,‹ fiel ihm plötzlich ein, ›ich habe Giletti zum Feinde! – Eines ist seltsam:‹ sagte er sich, ›das Vergnügen, das ich empfände, wenn dieser häßliche Kerl zum Teufel spazierte, hat meine sehr flüchtige Laune für die kleine Marietta überdauert. Sie reicht nicht im geringsten an die Duchezza von Albarocca heran, die zu lieben ich in Neapel verpflichtet war, weil ich ihr gesagt hatte, ich wäre verliebt in sie. Du mein Gott! Wie oft habe ich mich bei den langen Zusammenkünften gelangweilt, die mir diese Duchezza gewährte. Niemals habe ich dergleichen in dem armseligen Stübchen empfunden, das zugleich als Küche diente, wo mich die kleine Marietta zweimal und nur auf ein paar Minuten empfing.
    Ach, mein Gott! Was hatten diese Leutchen zu essen! Das war zum Erbarmen! Ich hätte ihr und der Mammaccia eine Pension von täglich drei Beefsteaks aussetzen sollen. – Die kleine Marietta‹, fügte er hinzu, ›verscheuchte mir die boshaften Gedanken, die mir der Dunstkreis des Hofes eingab.
    Es wäre vielleicht besser für mich gewesen, wenn ich das Kaffeehausleben geführt hätte, wie es mir die Duchezza geschildert hat. Sie schien es zu billigen, und sie hat viel mehr Weitsicht als ich. Dank ihrer Freigebigkeit oder auch nur mit meinem Jahresgeld von viertausend Frankenund den Zinsen von den vierzigtausend Franken, die in Lyon angelegt sind, einem Geschenk meiner Mutter, hätte ich immer meinen Gaul sowie ein paar Taler für Ausgrabungen und für meine Antikensammlung gehabt. Da ich augenscheinlich nicht erfahren soll, was Liebe ist, so wird das für mich immer die Hauptquelle des Glücks bleiben. Ehe ich sterbe, möchte ich noch einmal das Schlachtfeld von Waterloo besuchen und mich nach jener Wiese umsehen, wo ich so spaßig vom Pferd gezogen und auf die Erde gesetzt worden bin. Nach dieser Pilgerfahrt möchte ich häufig an diesen köstlichen See kommen. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt zu sehen, wenigstens nicht für mein Herz. Warum in die Ferne schweifen, um das Glück zu suchen? Hier liegt es vor meinen Augen!
    Ach,‹ sagte sich Fabrizzio, gleichsam als Einwand, ›die Polizei verjagt mich vom Comer See, aber ich bin jünger als die Leute, die die Ränke dieser Polizei lenken. Hier fände ich keine Duchezza von Albarocca,‹ fügte er lachend hinzu, ›aber ich fände eine von den kleinen Mädchen da unten, die Blumen auf die Straße streuen, und, wahrlich, ich liebte sie ganz ebenso. Die Heuchelei macht mich sogar in der Liebe eiskalt, und unsere vornehmen Damen trachten nach allzu erhabenen Erfolgen. Napoleon hat ihnen Begriffe von Moral und Treue beigebracht...‹
    »Zum Teufel!« rief er plötzlich und zog den Kopf vom Fenster weg, als ob er

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