Die Karte Des Himmels
Sie unser Gespräch für Zeitverschwendung halten, kann ich immer noch bei ›Sotheby’s‹ anrufen. Das hatte ich ursprünglich ohnehin vor. Es war nur so, dass mein Freund mir geraten hat, es zuerst bei Ihnen zu versuchen.«
»Selbstverständlich komme ich zu Ihnen, seien Sie unbesorgt«, sagte Jude rasch. »Ich dachte nur, es wäre sinnvoll, danach zu fragen. Das ist alles.«
»Außerdem haben wir noch ein paar Instrumente, die Anthony Wickham gehört haben. Teile eines Teleskops. Und so ein Dings ... eins von diesen Kugelmodellen des Sonnensystems.«
»Meinen Sie ein Orrery?«, fragte Jude, »eine Planetenmaschine?« Langsam klang die Sache danach, als wäre sie eine Reise wert. Mit der freien Hand schob sie Bücher und Papiere beiseite und suchte nach ihrem Schreibtischkalender.
»Ein Orrery, genau«, fuhr Robert Wickham fort. »Zeigt, wie die Planeten um die Sonne kreisen. Dann wären Sie also bereit, uns einen Besuch abzustatten?«
»Natürlich«, erwiderte sie und entdeckte ihren Kalender in ihrem Ablagekorb, unter dem Stapel von Korrekturfahnen, die Inigo hinterlassen hatte. »Wann würde es Ihnen denn passen?« Sie blätterte durch die Seiten. Konnte sie sich nächste Woche loseisen? Wenn Wickham damit drohte, die Sammlung noch anderen Auktionshäusern zu präsentieren, dann musste sie schneller sein als die Konkurrenz.
»In den nächsten Tagen bin ich unterwegs«, sagte er, »also geht es erst danach.« Sie kamen überein, dass Jude am Freitag in der folgenden Woche nach Starbrough Hall fahren sollte. »Sie kommen doch mit dem Wagen, oder? Ich schicke Ihnen die Wegbeschreibung per E-Mail, das wäre zu kompliziert am Telefon. Der nächste größere Ort ist Holt. Und Sie können über Nacht bleiben, wenn Sie wollen. Wir haben Platz genug, und meine Mutter und mich würde es freuen, wenn Sie unser Gast sind. Meine Frau ist dann mit den Kindern verreist, sodass Sie in Ruhe arbeiten können.«
»Das ist sehr freundlich. Aber es ist wahrscheinlich nicht notwendig, dass ich bei Ihnen übernachte«, sagte Jude. »Ich habe Verwandtschaft in der Gegend, wissen Sie.« Seit Ewigkeiten war sie nicht mehr zu Hause in Norfolk gewesen. Und jetzt bot sich eine großartige Gelegenheit. Vielleicht würde sogar Caspar mitkommen, ihr Freund.
Als sie aufgelegt hatten, lief Jude unruhig in der Abteilung hin und her. Sie war sich absolut sicher, dass die Sammlung in Starbrough Hall bedeutend war, obwohl sie nicht wusste, woher sie diese Überzeugung nahm. Aber es würde einen guten Eindruck machen, wenn es eine bedeutende Sammlung war und sie diese für »Beecham’s« sichern konnte. Und gerade jetzt kam es darauf an, einen guten Eindruck zu machen, weil Klaus Vanderbilt sich dem Ruhestand näherte und »Beecham’s« einen neuen Abteilungsleiter brauchen würde.
Wie so oft grübelte sie darüber nach, wie ihre eigenen Chancen auf eine Beförderung im Vergleich zu Inigos standen, als ihr Blick auf den Notizblock fiel und sie die Worte »Starbrough Hall« las.
Jude konnte sich den Ort immer noch nicht vorstellen. Sie ging zum Regal mit den Nachschlagewerken und zog einen voluminösen Band mit dem Titel Great Houses in East Anglia heraus, den sie auf Inigos Tisch legte. Als sie bis zum »S« geblättert hatte, entdeckte sie eine körnige Schwarz-Weiß-Fotografie. Starbrough Hall war ein würdiges, vielleicht ein bisschen kahl wirkendes Herrenhaus, erbaut im palladianischen Stil, mit kiesbedecktem Vorplatz und einer großen strukturlosen Rasenfläche vor dem Gebäude. Zwei Meilen von Starbrough Village entfernt , hieß es in der kurzen Erläuterung, 1720 erbaut von Edward Wickham Esq. auf den Ruinen des abgebrannten alten Gutshauses von Starbrough . Starbrough. Das lag ganz in der Nähe von Claire. Irgendwann war sie schon mal durch Starbrough Village gefahren. Sie erinnerte sich an die ungewöhnlich große Kirche, an die Grünfläche mit einem hübschen Ortsschild und einer Bank, die um eine gewaltige Eiche herumgezimmert war. Jude glaubte, dass Grans Vater als Jagdaufseher auf den Ländereien in Starbrough gewesen war, aber wo die Familie gewohnt hatte, wusste sie nicht.
Eine Weile saß sie grübelnd im leeren Büro, bis sie schließlich zum Telefon griff, um Gran anzurufen.
Die alte Dame hatte es sich angewöhnt, nachmittags zu dösen, besonders dann, wenn die Sonne über den Fußboden spielte und das Wohnzimmer mit Wärme und flackerndem Licht erfüllte. Wie immer am letzten Wochenende im Juni tummelten sich
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