Die Kastratin
Kollegen nutzten das aus, stichelten boshaft und ließen ihn ständig spüren, wie unerwünscht er war. Das einzig Positive, das er seinem neuen Posten abgewinnen konnte, war die Tatsache, dass hier sämtliche Neuigkeiten zusammenliefen und er ohne Probleme nach Giulio Casamonte fragen konnte. Er würde sofort erfahren, wenn dieser sich Rom auch nur auf fünfzig Meilen näherte. Aber die Wochen vergingen, ohne dass er etwas von seinem Freund hörte.
An einem jener schrecklichen Tage, die Vincenzo nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschte, überlegte er ernsthaft, die Stellung aufzugeben und doch lieber vom Würfelspiel zu leben. Irgendjemand hatte seine Tinte mit Mehl versetzt, so dass nur noch eine dicke, schwarze Paste im Fass gewesen war. Als er an den Brunnen ging, um sie auszuwaschen, hielt ihn sein direkter Vorgesetzter auf und tadelte ihn mit ätzenden Worten, weil er nicht an seinem Platz weilte, und schließlich musste er noch die vergeudete Tinte bezahlen, bevor sein Fass wieder aufgefüllt wurde. Vincenzo überlegte bereits, welchem der anderen Schreiber er am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit auflauern und eine Tracht Prügel verpassen sollte, als es im Raum plötzlich unruhig wurde. Da er durch seine unfreiwillige Pause einiges aufzuholen hatte, kümmerte er sich zunächst nicht da-rum.
Plötzlich fiel ein Schatten über ihn. Er blickte auf und sah einen Offizier der päpstlichen Garde vor sich stehen. Es dauerte einen Moment, bis er Paolo Gonzaga erkannte. Das früher fast mädchenhaft hübsche Gesicht des Mannes wurde durch eine breite, wulstige Narbe verunstaltet, die sich von der Stirn über die Nase bis zum Kinn zog. Auch schien er das rechte Auge verloren zu haben, denn er verbarg die Höhle hinter einer schwarzen Binde.
Vincenzo erinnerte sich, von Unruhen in Mantua gehört zu haben, die der bucklige Herzog Guglielmo jedoch rasch unterbunden hatte. Gerüchten zufolge sollte Paolo Gonzaga dabei eine tapfere, aber recht unrühmliche Rolle gespielt haben. Vincenzo senkte den Kopf, damit der andere sein boshaftes Lächeln nicht bemerkte.
Paolo Gonzaga hatte erst an diesem Morgen von seinem Auftrag erfahren und wusste nicht genau, um was es ging. Man hatte ihm nur knapp mitgeteilt, dass der Kastrat Giulio Casamonte wegen einiger Verbrechen festgenommen worden war und dieser Tage nach Rom geschafft werden sollte. Er selbst hatte den Befehl erhalten, Vincenzo de la Torre, Casamontes langjährigen Begleiter, zu arretieren. Gonzaga ahnte nicht, dass Bischof della Rocca eigentlich einen anderen Offizier der Garde mit dieser Aufgabe hatte betrauen wollen. Doch dieser war erkrankt, und so war Gonzaga bei della Rocca erschienen, um seine Befehle entgegenzunehmen. Ein Schreiber des Bischofs, der etwas mitteilungsfreudiger gewesen war als sein Herr, hatte ihm gegenüber ein paar dunkle Andeutungen über Hochverrat, Hexerei und Sodomie fallen lassen. Der Vorwurf, dass Vincenzo de la Torre einen fetten Kastratenhintern der von Gott geschaffenen natürlichen Öffnung einer Frau vorzog, und die Tatsache, dass ein de la Torre hier als kleiner Schreiber arbeitete, brachten Paolo Gonzaga zum Lachen und ließen ihn della Roccas Befehl vergessen, die Verhaftung so unauffällig wie möglich durchzuführen. Er winkte die vier Gardisten, die ihn begleiteten, nach vorne und baute sich vor Vincenzo auf. »Siehe da, da sucht man nach einem Edelmann und findet einen elenden Tintenkleckser.«
»Nicht jeder ist skrupellos genug, eine reiche Erbin zu heiraten und sie einige Monate später wegen irgendwelcher erfundenen Beschuldigungen in ein Kloster zu sperren.« Vincenzo spielte dabei auf Giovanna Gonfale an, deren Traum, die Ehefrau eines bedeutenden Mannes zu werden, sich früh in Tränen und Verzweiflung aufgelöst hatte.
Paolo Gonzaga zuckte nur mit den Schultern. »Frechheit hilft Euch jetzt auch nichts mehr.«
Jetzt erst begriff Vincenzo, dass Paolo Gonzaga seinetwegen gekommen war. Er fragte sich, ob ihn einer seiner Kollegen bei den Behörden angeschwärzt hatte. Doch welche Beschuldigung konnte so schlimm sein, dass ein päpstlicher Hauptmann sich persönlich der Sache annahm? Vincenzo legte seine Schreibfeder beiseite und schloss das Tintenfass. »Was willst du von mir?« In diesem Augenblick war er der würdige Spross seiner adligen Familie, die bereits Ehren und Würden besessen hatte, als die Gonzagas noch simple Bauern gewesen waren.
Gonzaga entblößte die Lippen zu einem höhnischen Grinsen.
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