Die Kastratin
zu öffnen, fand ihn jedoch von außen verriegelt.
Giulia fluchte leise vor sich hin. »Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll.«
Am wahrscheinlichsten erschien ihr nun doch Assumptas Vermutung, dass sie Räubern in die Hände gefallen waren. Wenn sie aus dieser Situation heil herauskommen wollte, brauchte sie vor allem kühles Blut. Als sie sich kurze Zeit später einem Dorf näherten, hoffte sie, die Leute auf sich aufmerksam machen zu können. Doch kurz vor dem Dorfeingang schlossen die Reiter auf. Einer zielte unmissverständlich mit einer Pistole in die Kutsche und schnauzte Giulia an. »Kopf zurück!«
Giulia dachte an ihre eigene Waffe, die wieder einmal nutzlos im Koffer lag, und zog die Schultern hoch. Gegen zehn Männer war jeder Versuch des Widerstands von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie konnte nur abwarten, was geschah, und hoffen, dass sie die Situation halbwegs unbeschadet überstehen würde. Wichtiger als das Geld, das man ihr abnehmen konnte, war es, unter allen Umständen ihr Geheimnis zu wahren. Also musste sie ganz ruhig bleiben und durfte sich nicht provozieren lassen. Mit Tomasi war sie ja auch fertig geworden.
Die Kutsche fuhr den ganzen Tag durch. Man hielt nicht einmal an, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu erleichtern. Als Assumpta rief, dass sie in die Büsche müsste, erklärte ihr ein Reiter, dass sie dafür den Nachttopf benützen solle, der sich in einem kleinen Verschlag unter dem Sitz befand. Es blieb den beiden Frauen nichts anderes übrig, als diese Möglichkeit zu nutzen. Als Assumpta jedoch versuchte, das Gefäß so zu entleeren, dass auch die Reiter vom Inhalt getroffen wurden, schlossen diese blitzschnell auf und verriegelten die Fensterluken.
Giulia fuhr verärgert auf. »Jetzt hast du die Leute verärgert und dafür gesorgt, dass wir überhaupt nichts mehr sehen können. Halt dich bitte ab jetzt zurück.«
Assumpta bleckte jedoch nur die Zähne. »Mindestens einer von den Kerlen wird heute Abend seinen Mantel waschen müssen, wenn er nicht will, dass er morgen nach Rinnstein riecht. Die sollen ruhig wissen, dass sie mit uns nicht alles machen können.«
Giulia hielt diese Art der Gegenwehr für kindisch, sagte aber nichts mehr, um ihre erboste Dienerin nicht noch mehr in Rage zu bringen.
Als die Kutsche bei Sonnenuntergang anhielt, zwangen zwei Männer Giulia und Assumpta mit vorgehaltenen Pistolen auszusteigen. Ohne ein Wort zu sagen führte man sie zu einer kleinen, aus wuchtigen Sandsteinquadern erbauten Kapelle, stieß sie hinein und schloss hinter ihnen ab.
In das Innere der Kapelle passten gerade zwei kleine Betstühle, auf denen man sich nicht zum Schlafen ausstrecken konnte. Während sich Assumpta erschöpft hinsetzte, sah Giulia sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Doch die einzige Tür war aus festem Holz, und durch die schmalen Fenster hoch oben unter der Decke hätte höchstens eine Katze hinausklettern können.
Assumpta folgte Giulias verzweifelten Blicken und knurrte wie ein bissiger Kettenhund. »Ich bin gespannt, ob man uns verhungern und verdursten lässt.«
Wie als Antwort auf ihre Frage wurde die Tür geöffnet, und ein Mann reichte ein Tablett mit Brot, Wein und Käse herein. Ein Zweiter stellte den im Bach ausgespülten Nachttopf in den Raum. »Damit Ihr nicht die Kapelle beschmutzt.«
Giulia spürte, wie sich ihre Haare im Nacken aufrichteten. Räuber hätten sich kaum darum gekümmert, ob sie ihre Notdurft in der Kapelle verrichteten oder nicht, und sie wären auch nicht den ganzen Tag so offen über die Landstraßen geritten. Die Obrigkeit aber hätte sie ganz offiziell verhaftet und sie von Soldaten in Uniform eskortieren lassen. Es war ein Rätsel, das Giulia nicht lösen konnte. Aber anders als Assumpta, die pausenlos ihrer Empörung Luft machte, ohne den Ernst der Situation zu begreifen, spürte sie die nahende Gefahr.
Einige Zeit später kamen die beiden Männer zurück und warfen ihnen Decken hin. Bevor sie wieder gingen, schob sich ein weiterer Mann durch die Tür. Assumpta erkannte den jungen Burschen mit dem vierschrötigen Gesicht, den sie am letzten Abend aus der Kutsche hatte herausstarren sehen. »Das ist der Räuber, der uns abgepasst hat«, raunte sie Giulia zu.
Es war nicht leise genug. Der Mann verzog seine Lippen zu einem bösartig-zufriedenen Grinsen und winkte den beiden anderen Männern, die Tür hinter ihm zu versperren. Während einer ihm sofort gehorchte, zögerte der andere. »Wir wurden
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