Die Kastratin
angewiesen, dem Kastraten kein Haar zu krümmen oder ihm irgendwie zu nahe zu treten. Das gilt auch für dich, Ludovico.«
Der Ludovico genannte Mann winkte ärgerlich ab. »Ich kenne die Befehle und bin Seiner Eminenz gegenüber für ihre strikte Durchführung verantwortlich. Also verschwinde jetzt. Ich weiß genau, was ich zu tun habe.«
Der andere zuckte mit den Schultern und schloss wie befohlen die Tür. Ludovico stellte sich mit dem Rücken zum Holz, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Giulia mit hasserfüllten Blicken. Ihre selbstbewusste Miene, die sorgfältig geschneiderte Kleidung aus teuren Stoffen und ihre gesamte Haltung erinnerten ihn daran, dass eigentlich ihm die Stellung in der Gesellschaft zustand, die sie für sich beanspruchte. Das kleine Opfer in Form seiner Hoden, das er dafür hätte bringen müssen, überging er großzügig.
»Darf ich erfahren, von wem ich hier festgehalten werde und warum?« Die Klangfülle in Giulias Stimme traf Ludovico wie ein Schlag. Dieses Hexenweib verkörperte auf perverse Art alles, was er so gerne gewesen wäre und doch niemals sein konnte. Der Hass in ihm ließ ihn alle Befehle und Ermahnungen vergessen, die della Rocca ihm nachdrücklich erteilt hatte. Der Bischof hatte darauf bestanden, dass der Kastrat Casamonte nicht erfuhr, wer ihn gefangen genommen hatte und warum. Doch die Person vor ihm war Giulia Fassi, dessen war Ludovico sich absolut sicher. Für diese Hexe gab es nur das Feuer und die ewige Pein der Hölle, und die sollte sie heute wenigstens in ihrer Vorstellung zu kosten bekommen. »Buona notte, Giulio Casamonte. Oder sollte ich besser Giulia Fassi sagen?« Ludovico sonnte sich im Gefühl seiner Macht und genoss das Entsetzen, das sich in Assumptas Gesicht abzeichnete. Als er Giulia ansah, ballte er vor Wut die Fäuste. Statt sich vor Angst zu winden, sah sie ihn so gleichmütig an, als habe er über das Wetter gesprochen.
Er konnte nicht wissen, dass es nur die Macht jahrelanger Gewohnheit war, die Giulia äußerlich ruhig bleiben ließ. Hinter ihrer Stirn aber brodelte es. Verzweifelt überlegte sie, wer ihre Identität aufgedeckt haben konnte. Vincenzo konnte es nicht sein, denn der wusste selbst nicht, dass sie in Wirklichkeit eine Frau war. Vielleicht hatte ihr Vater den Mund nicht halten können und sich verplappert. Oder seine neue Frau hatte ihm das Wissen abgeluchst und an wen auch immer verkauft. Etwas anderes konnte sie sich im Augenblick nicht vorstellen. Dennoch war sie nicht bereit, sich auch nur mit einem Wimpernschlag zu verraten.
Sie holte tief Luft und schob das Kinn vor. »Ich will wissen, wer mich gefangen hält.«
Ludovico verbarg seine Verblüffung hinter einem hässlichen Lachen. »Die Behörden des Heiligen Vaters, die dich deiner gerechten Strafe entgegenführen werden, du Teufelshure.«
Jetzt ist alles aus, dachte Giulia. Vor ihrem inneren Auge sah sie den Scheiterhaufen um sich herum auflodern und glaubte schon die Flammen zu spüren. Ihr schlimmster Albtraum begann Gestalt anzunehmen. Während ihre Gefühle wie ein Sturm durch ihr Innerstes tobten, suchte ihr Verstand einen Ausweg. Aber es schien keinen zu geben. Sie befanden sich zwar noch auf dem Gebiet der Venezianischen Republik, doch die nördlichen Grenzen des Kirchenstaats lagen nicht mehr allzu fern, und sie konnte auf keinerlei Hilfe von außen hoffen. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, ihren Häschern zu entkommen. Die Präzision aber, mit der ihre Gefangennahme geplant worden war, erstickte jede Hoffnung im Keim.
Ludovicos Miene verdüsterte sich. Er hatte einen entsetzten Aufschrei erwartet, flehentliche Bitten, sie zu verschonen, Tränen und einen Kniefall. Doch das Weib vor ihm schien noch genauso starrköpfig zu sein wie als kleines Mädchen. Damals hatte sie lieber Prügel von ihrer Mutter in Kauf genommen, als ihm einen harmlosen, kleinen Gefallen zu tun und ihren Kittel zu heben. Wenn er sie statt des Chorknaben Ambrogio hätte benutzen können, um seinen erwachenden Trieb zu erproben, wären ihm etliche Erniedrigungen erspart geblieben. Auch dafür würde er sie zahlen lassen.
Dieser Gedanke brachte ihn auf eine Idee. Die Fassi war zwar keine Schönheit, besaß aber ein angenehmes Äußeres und eine gute Figur, die von ihren Männerkleidern kaum kaschiert wurde. Er machte schon den Mund auf, um ihr anzubieten, sie freizulassen, wenn sie sich ihm freiwillig hingab. Er spürte den Drang, sie unter sich
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