Die Katastrophe
Debbie eindringlich.
»Ich? Kein Wort habe ich gesagt.«
»Ich kann mich auch daran erinnern«, meinte Rose. »Du warst überhaupt die Erste, die diese alte Geschichte erwähnt hat.«
Debbie streckte die Hand aus und wollte sich die nächste Pommes nehmen, als Katie meinte: »Tja Debbie, im Grunde bist du jemand, der im Profil in Facebook stehen haben müsste: nicht vertrauenswürdig.«
»Hast du eine Ahnung, was ich mir alles ausgedacht habe, um diese verrückte Idee geheim zu halten? Ständig hat Isabel mich gelöchert, wo ihr seid.«
»Du hast doch sonst keine Probleme damit, Geschichten zu erfinden.«
»Es hat ja auch keiner etwas gemerkt. Bis dieser Anruf kam, dass ihr euch in Lebensgefahr befindet. Da war hier die Hölle los. Ehrlich, ich habe gedacht, der Dean foltert mich, um etwas aus mir herauszubekommen.«
Rose zog die Stirn in Falten und warf Katie einen Blick zu. Katie konnte sich schon vorstellen, wie es in Wirklichkeit gelaufen war. Vermutlich waren Rose und Robert diejenigen gewesen, die Katie und die anderen gedeckt hatten, während sie gleichzeitig alle Hände voll zu tun hatten, Debbie davon abzuhalten, panisch wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend zu rennen und alles auszuplappern.
Katie nickte ihr zu und Rose lächelte leicht. »Nur gut, dass Ana nicht wirklich etwas passiert ist«, sagte sie mit ihrer weichen, sanften Stimme, die so gut zu ihrem Äußeren passte. »Der Beinbruch und die Verletzung an der Hand – es kommt einem wie ein Wunder vor, oder? Wenn man die Höhe bedenkt. Aber es muss schlimm für sie sein, dass sie nicht zu Hause war, als es passiert ist.« Ihre Stimme wurde leiser.
»Was meinst du?«
»Hast du noch nicht gehört?«
»Wovon sprichst du?«
»Ihr Großvater ist gestorben, während ihr dort oben gewesen seid.«
»Ihr Großvater?« Katie starrte Rose an. »Wer hat das erzählt?«
Vierhundert Dollar , hatte Ana damals gesagt. Vierhundert Dollar fehlen noch, um die Operation meines Großvaters zu bezahlen.
»David. Er ist inzwischen aus dem Krankenhaus zurück.«
Debbie kaute aufgeregt auf ihrem Kaugummi herum. »Und weißt du, was der Hammer ist? Anas Großvater soll in haargenau dem Moment gestorben sein, als Ana in die Gletscherspalte gestürzt ist!«
»Debbie! Das ist doch nur ein Gerücht.« Rose verdrehte die Augen. »Das kann Ana doch gar nicht wissen.«
»Soll sie aber erzählt haben.«
»Ach ja?«, entgegnete Katie, obwohl ihr Herz sich zusammenzog. »Hat sie während ihres Sturzes in die Gletscherspalte auf die Uhr gesehen? Und war das auf die Minute genau der Moment, als die Ärzte im Krankenhaus den Tod des Großvaters festgestellt haben?«
»Nein!« Debbie beugte sich vor und ihre wässrigen Augen hatten fast denselben Blaustich wie ihre kränklich aussehende Haut. »Sie hat es gefühlt! Verstehst du? Sie hat es gefühlt.« Sie riss die Augen auf. »So hat David es jedenfalls vorhin Julia erzählt.«
»Gefühlt?«
»Ja! Es ging um irgendeinen Steinkreis, der am Morgen verschwunden war.«
Katie zuckte zusammen.
»Was für ein Steinkreis?« Rose strich sich über die Glatze. »Davon höre ich zum ersten Mal.«
Debbie wurde noch eifriger. »Okay, passt auf. Ich hab das vorhin mal rasch gegoogelt. Es geht um ein indianisches Ritual. Man legt einen Kreis aus Steinen auf die Erde. Der äußere Kreis beschwört die Mächte des Universums und die Kräfte, die dem Menschen innewohnen, und die werden dann verbunden mit einem Zentrum, das die Quelle allen Seins bedeutet.«
»Das Zentrum?«, wiederholte Katie verständnislos.
»Ja, die legen irgendwas in die Mitte, was weiß ich...ich glaub, David hat von einer Feder gesprochen. Egal. Jedenfalls hatte Ana ihrem Großvater versprochen, dass sie für ihn auf den Gletscher steigen würde, um dieses Ritual für ihn auszuführen. Und dann ist sie mitten in der Nacht im Schneesturm losgezogen und hat auf dem Gletscher Steine gesucht. Ungewöhnliche Steine mit ungewöhnlichen Farben, die sich aber in der Form ähneln.«
Debbie plapperte immer weiter, aber Katie hörte schon gar nicht mehr zu.
Schuld, dachte sie.
Überall auf dieser gottverdammten Welt konnte man ihr begegnen. Ein Fußtritt – und schon zerstörte man ein Ritual. Von dem man nicht einmal etwas wusste! Und wieder – wieder hatte man Schuld auf sich geladen.
Aber zum Teufel, wie hätte sie das ahnen können?
Doch, sie hätte es ahnen können!
Die Steine konnten ja schließlich nicht zufällig auf die Terrasse gelangt sein.
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