Die Katastrophe
Gletscher mussten.
Fraglich war nur, ob die anderen die Kraft und die Geschicklichkeit für die Strecke haben würden. Abgesehen davon, dass Katie sie erst einmal von ihrem Plan würde überzeugen müssen.
Ohne vernünftige Karte war ihr Vorhaben der reinste Wahnsinn. Aber dennoch – Katie würde sich davon nicht abhalten lassen.
Eine Weile hatte sie gehofft, aus den Zeitungsausschnitten über das Unglück in den Siebzigerjahren etwas herausfinden zu können. Nichts. Nothing. Nada.
Stimmt nicht, Katie, du hast den einen Namen gefunden, ohne den du deine Pläne vergessen könntest.
Wie Katie es hasste, in diesem fensterlosen Seminarraum mit den Betonwänden zu sitzen. Wie in einem Bunker fühlte sie sich, während Mr Forster noch immer dabei war, seine schläfrigen Studenten mit seiner grauenhaften französischen Aussprache zu bombardieren, sodass man sich unwillkürlich fragte, wie zum Teufel so jemand eine internationale Koryphäe sein konnte. Zum Glück endete dieser Frontalangriff auf Katies empfindliches Sprachempfinden, bevor sie von der schlechten Luft im Raum bewusstlos werden und vom Stuhl kippen konnte.
Als sie am Ende des Seminars erleichtert ihre Sachen zusammenpackte, stellte sie sich zum hundertsten Mal die Frage, weshalb sie eigentlich ihre Zeit hier absaß und warum sie überhaupt Französisch als Schwerpunkt gewählt hatte. Warum, Katie?
Weil du, wenn du Französisch hörst und sprichst, Sebastien nahe bist.
Jedenfalls hasste sie Mr Forster mit seinem schwarzen Anzug, der korrekt gebundenen Krawatte und dem Taschentuch in der Brusttasche an diesem Vormittag noch mehr als sonst. Und ausgerechnet heute hielt er sie an, als sie an ihm vorbeiging: »Miss West? Ich habe festgestellt, dass sie sich noch in keine Freiwilligenliste des Französischdepartements eingetragen haben, was den Besuch der Generalgouverneurin betrifft. Darf ich fragen, warum?«
Am liebsten hätte Katie auf Französisch erwidert: »Nein, dürfen Sie nicht.« Stattdessen sagte sie: »Ich wusste nicht, dass freiwillig bedeutet, dass man verpflichtet ist, sich einzutragen. Vielleicht ist mein Englisch nicht gut genug.«
Mr Forster wusste, wer Katies Vater war. Er hatte schon einmal bemerkt, wie sehr er ihren Vater als Politiker und Diplomat schätze. Und vermutlich wollte er Katie der Gouverneurin als ein Beispiel präsentieren, dass am Grace nur die Elite aufgenommen wurde.
»Katie, ich warne Sie. Ich habe Ihre Aufnahme hier am Grace befürwortet«, sagte Mr Forster. Seine Augen schienen winzig klein hinter der dicken Hornbrille.
»Ach ja? Mich hat leider keiner gefragt, ob ich Sie als Dozent befürworte.«
Ungerührt von dieser Bemerkung fuhr Mr Forster fort. »Leider muss ich feststellen, dass ich mich in Ihnen getäuscht habe. Auch wenn Ihre Leistungen zugegebenermaßen brillant sind, stelle nicht nur ich einen eklatanten Mangel an Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit fest.«
Katie zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen, doch Mr Forster war offenbar noch nicht fertig und sie erkannte in seinem Gesicht maßlosen Ärger und – oder täuschte sie sich – sogar eine Drohung. »Diese Geschichte damals, in die Sie verwickelt waren, hat immerhin politisch einigen Wirbel verursacht.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Dieser junge Mann, der Sohn...«
Nein, er sollte nicht von Sebastien sprechen. Er nicht! Und auch sonst niemand.
»Und die Geschichte, in die Sie verwickelt waren, Mr Forster?«, konterte sie scharf.
Ja, er sah irritiert aus. Die Frage brachte ihn offensichtlich aus dem Gleichgewicht. Sie erkannte es an dem nervösen Zucken seines linken Augenlids. Was Katie fast zum Lachen brachte. Dass Menschen sich tatsächlich einbildeten, sie könnten ihre Schwächen verdecken, wenn sie sich nur korrekt kleideten. Nein, das funktionierte nicht. Irgendeine Angewohnheit verriet sie doch. Wie Mr Forster, wenn er wie jetzt diesem Schluckzwang unterlag und einfach nicht mehr damit aufhören konnte.
»Ich meine die Geschichte von damals«, fuhr Katie fort.
»Acht junge Collegeangehörige – die verschwinden doch nicht so einfach.«
Er schwieg einige Sekunden.
Studenten gingen an ihnen vorüber. Blicke streiften sie. Katie sah Julia am Ende des Flurs durch die Glastür kommen. Ihre Mitbewohnerin winkte ihr zu, doch dann verschwand sie plötzlich aus Katies Blickwinkel, denn Mr Forster besaß tatsächlich die Frechheit, sich direkt vor ihr aufzubauen. Sie roch sein messerscharfes Rasierwasser,
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